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Jllustrirte Dcur
Menschenschlages liegt ein dichter Schleier. Einige Forscher lassen die Aino aus Südasien, andere aus der Mongolei stammen. Sie selbst wissen nichts von ihrer Abkunft; aber sie erzählen tausendjährige Fabeln, die eine wenn schon entfernte, so doch unverkennbare Ähnlichkeit mit den alten Kunden haben, wie sie die Völker des Westens aus der Urzeit der Menschheit bewahren.
Um die Aino kennen zu lernen, muß man in das Innere von Jesso eindringen. Dort leben sie in patriarchalischer Einfachheit in kleinen Gesellschaften von zwei bis zwanzig Familien. Sie sind untersetzter Statur und von großer Körperkraft. Ihre Hautfarbe ist röthlichbraun; von den Japanern und Chinesen unterscheiden sie sich besonders durch ihre breiten, offenen Stirnen und ihre gutmüthigen schwarzen, nicht geschlitzten Augen. Ganz außerordentlich, wahrhaft befremdlich ist ihr starker Haar- und Bartwuchs.
Die Aino sind geschickte Fischer und kühne Jäger; aber sie vernachlässigen den Ackerbau und müssen deshalb alle vegetabilischen Nahrungsmittel von den Japanern kaufen. Sie lieben geistige Getränke; ihre große Armuth zwingt sie jedoch zur Mäßigkeit. Ihre Kleidung, im Schnitte der der Japaner ähnlich, besteht aus groben Stoffen, die sie in Hako- date und in Matsmai, einer anderen japanischen Stadt von Jesso, einkaufeu. Im Winter bekleiden sie sich mit Fellen. Ihre Religion ist ein grober Götzendienst. Ihre Hauptgottheit ist der Bär „Hokjok- kamui", den sie aber auf der Jagd unbarmherzig verfolgen.
Vor Jahrhunderten bildeten die Aino einen großen Stamm, der Japan und einen Theil der chinesischen Küste bewohnte. In den ältesten Zeiten, 600 v. Ehr., erscheinen sie in unverbürgten Mythen als Herren der nördlichen Provinzen von Japan. Sie waren damals ein kriegerisches und gefürchtetes Volk; aber ihre wilde Mannheit verlor sich im Verkehr mit den feineren Japanern. Biele von ihnen heiratheten japanische Weiber und gingen nach und nach in der eingewanderten Völkerschaft aus; Andere wurden in langen Kämpfen aus Nippon verjagt und über die Straße von Tsngar nach Jesso und den Kurilen getrieben; aber auch
sche Monatshefte.
! dort wurden sie von den erobernden Japanern angegriffen und im vierzehnten Jahrhundert gänzlich unterworfen. — Sie haben nicht die Kraft gehabt, sich von dem schweren Joch, unter das die Japaner sie beugten, wieder zu befreien. Der Druck, der seit Jahrhunderten auf ihnen lastet, hat jeden Fortschritt bei ihnen gehemmt; und sie bieten heute noch das Bild eines Volkes, das auf den untersten Stufen der Cultur steht. Aber die Knechtschaft hat sie nicht schlecht gemacht. Es sind stille, bescheidene Menschen, und sie steigen nun, unnütz und schwach, aber nicht verdorben, in das große Völkergrab hinab, worin sie neben ihren Nachbarn und Leidensgenossen, den Kamtschadalen und den nordamerikanischen Indianern, ruhen werden.
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Am 20. December 1861, nachdem unser Aufenthalt in Hakodate länger als sechs Wochen gedauert hatte, theilte Walsh mir mit, daß der „Saint Louis" nun wieder in See gehen könne und am folgenden Tage die Fahrt nach Yokohama antreten werde. Ich hatte den Plan, die Rückreise nach Europa über Sibirien anzutreten, aufgegeben, und da mich in Hakodate nichts mehr zurückhielt, so nahm ich von den wenigen Bekannten, mit denen ich dort verkehrt hatte, Abschied und schiffte mich am Abend desselben Tages an Bord des „Saint Louis" ein.
Die Ueberfahrt von Hakodate nach Jokohama war kurz und angenehm. Wir hatten bei Hellem Wetter günstige Winde und segelten schnell, ohne je die malerische Küste von Nippon aus den Augen zu verlieren, dem Golf von Aeddo zu.
Am Morgen des vierten Tages, als ich bald nach Sonnenaufgang aus der Kajüte aus das Deck trat, erblickte ich den Fusiyama, der unmittelbar aus dem Meere bis zu einer Höhe gleich der des Montblanc emporsteigt, alle anderen japanischen Bergspitzen hoch überragt und mir in seiner milden, einfachen und großartigen Schönheit unvergeßlich geblieben ist. — Viele Jahre lang, zu einer Zeit, da ich mehr im Freien lebte als heute, habe ich ihn täg-