Heft 
(1881) 299
Seite
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Jllustrirte Dcur

Menschenschlages liegt ein dichter Schleier. Einige Forscher lassen die Aino aus Süd­asien, andere aus der Mongolei stammen. Sie selbst wissen nichts von ihrer Ab­kunft; aber sie erzählen tausendjährige Fabeln, die eine wenn schon entfernte, so doch unverkennbare Ähnlichkeit mit den alten Kunden haben, wie sie die Völker des Westens aus der Urzeit der Mensch­heit bewahren.

Um die Aino kennen zu lernen, muß man in das Innere von Jesso eindringen. Dort leben sie in patriarchalischer Ein­fachheit in kleinen Gesellschaften von zwei bis zwanzig Familien. Sie sind unter­setzter Statur und von großer Körperkraft. Ihre Hautfarbe ist röthlichbraun; von den Japanern und Chinesen unterscheiden sie sich besonders durch ihre breiten, offenen Stirnen und ihre gutmüthigen schwarzen, nicht geschlitzten Augen. Ganz außer­ordentlich, wahrhaft befremdlich ist ihr starker Haar- und Bartwuchs.

Die Aino sind geschickte Fischer und kühne Jäger; aber sie vernachlässigen den Ackerbau und müssen deshalb alle vege­tabilischen Nahrungsmittel von den Ja­panern kaufen. Sie lieben geistige Ge­tränke; ihre große Armuth zwingt sie jedoch zur Mäßigkeit. Ihre Kleidung, im Schnitte der der Japaner ähnlich, be­steht aus groben Stoffen, die sie in Hako- date und in Matsmai, einer anderen ja­panischen Stadt von Jesso, einkaufeu. Im Winter bekleiden sie sich mit Fellen. Ihre Religion ist ein grober Götzendienst. Ihre Hauptgottheit ist der BärHokjok- kamui", den sie aber auf der Jagd un­barmherzig verfolgen.

Vor Jahrhunderten bildeten die Aino einen großen Stamm, der Japan und einen Theil der chinesischen Küste bewohnte. In den ältesten Zeiten, 600 v. Ehr., erscheinen sie in unverbürgten Mythen als Herren der nördlichen Provinzen von Japan. Sie waren damals ein kriege­risches und gefürchtetes Volk; aber ihre wilde Mannheit verlor sich im Verkehr mit den feineren Japanern. Biele von ihnen heiratheten japanische Weiber und gingen nach und nach in der eingewander­ten Völkerschaft aus; Andere wurden in langen Kämpfen aus Nippon verjagt und über die Straße von Tsngar nach Jesso und den Kurilen getrieben; aber auch

sche Monatshefte.

! dort wurden sie von den erobernden Ja­panern angegriffen und im vierzehnten Jahrhundert gänzlich unterworfen. Sie haben nicht die Kraft gehabt, sich von dem schweren Joch, unter das die Japaner sie beugten, wieder zu befreien. Der Druck, der seit Jahrhunderten auf ihnen lastet, hat jeden Fortschritt bei ihnen ge­hemmt; und sie bieten heute noch das Bild eines Volkes, das auf den untersten Stufen der Cultur steht. Aber die Knecht­schaft hat sie nicht schlecht gemacht. Es sind stille, bescheidene Menschen, und sie steigen nun, unnütz und schwach, aber nicht verdorben, in das große Völkergrab hinab, worin sie neben ihren Nachbarn und Leidensgenossen, den Kamtschadalen und den nordamerikanischen Indianern, ruhen werden.

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Am 20. December 1861, nachdem unser Aufenthalt in Hakodate länger als sechs Wochen gedauert hatte, theilte Walsh mir mit, daß derSaint Louis" nun wieder in See gehen könne und am fol­genden Tage die Fahrt nach Yokohama antreten werde. Ich hatte den Plan, die Rückreise nach Europa über Sibirien an­zutreten, aufgegeben, und da mich in Hakodate nichts mehr zurückhielt, so nahm ich von den wenigen Bekannten, mit denen ich dort verkehrt hatte, Abschied und schiffte mich am Abend desselben Tages an Bord desSaint Louis" ein.

Die Ueberfahrt von Hakodate nach Jokohama war kurz und angenehm. Wir hatten bei Hellem Wetter günstige Winde und segelten schnell, ohne je die malerische Küste von Nippon aus den Augen zu verlieren, dem Golf von Aeddo zu.

Am Morgen des vierten Tages, als ich bald nach Sonnenaufgang aus der Kajüte aus das Deck trat, erblickte ich den Fusiyama, der unmittelbar aus dem Meere bis zu einer Höhe gleich der des Montblanc emporsteigt, alle anderen japanischen Bergspitzen hoch überragt und mir in seiner milden, ein­fachen und großartigen Schönheit unver­geßlich geblieben ist. Viele Jahre lang, zu einer Zeit, da ich mehr im Freien lebte als heute, habe ich ihn täg-