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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
befriedigen. Selbst das sogenannte „legitime" Geschäft hatte einen gewissen aleatorischen Charakter, nnd die jungen Kairf- leute, die demselben oblagen, machten alle mehr oder weniger den Eindruck von Spielern, von denen viele verwegen genug waren, um bei jeder neuen Speculation den größten Theil ihrer Habe gleichsam auf eine Karte zu setzen. Zum Glück für die jungen „Pioniere der Civilisation" war während der Jahre 1859 bis 1869 bei den meisten Geschäften, welche sie gemacht hatten, gut verdient worden; es gab fast nur wohlsituirte Kausleute in Pokohama, nnd selbst der jüngste Commis galt für reich genug, um sich, ohne für einen Verschwender zu gelten, ein Reitpferd und einen oder zwei Diener halten zu können.
Wie das Geschäft, so war damals das ganze Leben in Yokohama etwas abenteuerlich und gefährlich. Die Ankunft der Fremden in dem jahrhundertelang von der Außenwelt abgeschlossenen Reich hatte die japanischen Verhältnisse auf das tiefste erschüttert. Es gab eine starke reformfeindliche Partei im Lande, deren Unzufriedenheit sich zunächst in zahlreichen Mordanfällen auf die fremden Eindringlinge, sodann in aufständischen Bewegungen gegen die Regierung des Taiknn und schließlich in einer großen Revolution Lust machte, die das „Taikunat", das über zweihundertundfünszig Jahre in Japan allmächtig gewesen war, vollständig beseitigte und dem Mikado oder Tenno, dem legitimen Kaiser von Japan, welchem die Taiküne zwar immer große Ehre erwiesen, aber niemals die geringste Gewalt eingeräumt hatten, wieder zur unbestrittenen Alleinherrschaft über Japan verhalf. — Hunderte von japanischen Prinzen, sogenannten Daimio, die unter den Taiknnen mit gewissermaßen absoluter Gewalt in ihren kleinen Staaten geherrscht, zahlreiche Armeen unterhalten, bedeutende Revenuen bezogen und Recht über Leben und Tod ihrer Unterthanen gesprochen hatten, mußten bei derselben Gelegenheit auf ihre Souveränetät verzichten und ihre landesfürstlichen Privilegien zu Füßen des wiederhergestellten Thrones des Mikado niederlegen. — Die Revolution gebrauchte aber mehr als ein Decennium, um zum Abschluß zu kom
men. Im Jahre 1861 galt der Mikado, der in Miako residirte, noch für eine Art Schattenkaiser; der eigentliche Herr von Japan war der Taiknn, dessen Schloß sich in Peddo erhob. Die Wuthausbrüche der reformfeindlichen Edelleute, der Samurai, waren hauptsächlich gegen die Fremden gerichtet — und diese Wuthausbrüche waren im höchsten Grade gefährlich.
Die Japaner, wenn sie sich auch nicht an Kühnheit und männlichem Trotze mit den europäischen Racen messen können, sind leichter sanatisirt als diese und übertreffen sie an passivem Muth und apathischer Todesverachtung. Das menschliche Leben hat in hochcivilisirten Gesellschaften einen gar nicht mehr zu berechnenden idealen Werth. Bei barbarischen nnd halbcivilisirten Völkerschaften ist es der Willkür preisgegeben und verhältniß- mäßig werthlos. Daher die stoische Ruhe, womit der Asiat einen: gewaltsamen Tode eutgegeugeht oder sein Leben aufopsert. Auch in der neuesten Geschichte Japans findet man noch zahlreiche Beispiele dieser eigenthümlichen asiatischen Todesverachtung. Sie klingen dein europäischen Ohr wie Fabeln, beruhen aber in vielen Fällen aus wohlverbürgten Thatsachen. So die berühmte „Geschichte der siebenundvierzig Lonin", welche ans dem vorigen Jahrhundert datirt.
„Du sollst nicht leben unter demselben Himmelzelte noch auf derselben Erde wandeln mit dem Mörder deines Herrn oder deines Vaters." — So lautet das fünfzigste Gesetz Jyeyasus.
Ein hoher Staatswürdenträger beleidigt einen anderen. Dieser zieht sich in seine Familie zurück und tödtet sich, indem er sich den Bauch aufschlitzt. Seine Freunde und Diener, welche Zeugen seiner ehrenvollen Selbstentleibnng gewesen sind, beschließen, ihren Herrn zu rächen, und siebenundvierzig von ihnen unternehmen es, diesen Beschluß auszusühren. Sie dringen bewaffnet, nachdem sie ihren Plan mit vollständiger Selbstverleugnung monatelang heimlich vorbereitet haben, in den Palast desjenigen, der den Tod ihres Herrn verursacht hat, tödten die Männer, die sich ihnen entgegenstellen, und bemächtigen sich der Person ihres Feindes, dem sie in unterwürfigster Weise, da er ein hoher