Heft 
(1881) 299
Seite
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Lindau: Rcise-Erinnerungen.

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Beamter ist, zu erkennen geben, daß er sterben muß, und dem sie sodann den Kops abschlagen. Sie tragen diese blutige Trophäe aus das Grab ihres Gebieters, ziehen sich auf kurze Zeit in ihre Fa­milie zurück, um ihre Angelegenheiten zu ordnen, und vereinigen sich zu verabrede­ter Stunde wiederum, um das blutige Werk, das sie unternommen haben, in würdiger Weise zu vollenden. Sie lassen sich um das Grab ihres alten Herrn aus den Knieen nieder, richten eine An­sprache an seine Manen und entleiben sich sodann.*

Diese Geschichte, die jedes Kind in Japan kennt und bewundert, gehört der Vergangenheit an; aber die Sitten des heutigen Tages spiegeln sich treu und un­verändert in ihr wieder. Der letzte Regent von Japan, Jkammono-kami, wurde im Jahre 1860 auf offener Straße, inmitten seiner Getreuen, von einer kleinen Bande von Edellenten überfallen. Sie hatten bei ihrem Leben geschworen, daß sie den Fürsten, der den Fremden Japan geöffnet hatte, tödten würden, und sie hielten ihren Schwur und zahlten dafür mit ihrem Leben. Die meisten starben unter gräßlichen Qualen, indem sie sich angesichts ihrer Verfolger den Bauch anfschlitzten.

Mehrere fremde Beamte und Offiziere sind im Jahre 1862 Augenzeugen einer schrecklichen Selbsthinrichtnng gewesen, die zehn japanische Soldaten, überführt, zwei französische Matrosen getödtet zu haben, an sich vollzogen. Die vollkommene Ruhe dieser einfachen Männer angesichts des qualvollen Todes, der sie erwartete, und noch während des Todeskampfes ist mir von einem Augenzeugen, dem holländischen Consul Herrn v. Polsbroek, als unüber­trefflich geschildert worden.

Ich selbst habe oftmals mit Hori- Oribenokami, einem hohen japanischen Beamten, verkehrt, den ich als einen klu­gen, besonnenen Menschen kennen lernte;

* Or. F. A. Junker von Longegg giebt in seinem Werke:Segenbringcnde Reisähren". Leipzig 1880, I, x>. 18 eine Uebersetzung des Pactes, den die siebenundvierzig Vasallen abschlossen und in dem sie die Gründe darlegten, weshalb sie den Feind ihres Herrn ermorden wollten. Das, Original dieser Urkunde befindet sich im Tempelschatze von Sengakuji in Aeddo.

derselbe nahm sich in seinem Palaste, von Freunden und Verwandten umgeben, in feierlicher Weise das Leben, nur weil seine Politik den Fremden gegenüber von den nächsten Rathgebern des Taiknn und von diesem selbst gemißbilligt worden war.

Unter den japanischen Samurai (Edel­leuten) von 1861 gab es viele, die bereit waren, ihr Leben Preiszugeben für die Genugthuung, einen oder mehrere der verhaßtenTodjin" (Mann des Westens, Fremdling) zu tödten. Besonders ge­fährlich waren die Lonin, dieUnstäten", das heißt adelige Vasallen, welche ihres Lehnsverbandes verlustig und herren­los geworden waren und sich ohne feste Stellung im Lande umhertrieben. Sic waren mit mächtigen Schwertern be­waffnet, man traf sie auf allen Wegen und Stegen, und man mußte stets ge­wärtig sein, von ihnen ohne jede Provoca- tion überfallen zu werden. Diese Un­sicherheit des Verkehrs verhinderte jedoch keinen der jungen fremden Kausleute von Jokohama, sich imLmtlomani" wie zu Hause zu fühlen und weite Ausflüge in das fremde Land zu unternehmen. Man ritt dabei lieber in Gesellschaft als allein und hielt sich in der Mitte der Straße; man beobachtete das Terrain und die Leute zur Rechten und Linken des Weges; man hatte den Revolver in Schußbereit- schast und ließ sich, wenn inan des Abends ausging oder ritt, von japanischen Dienern begleiten, welche große Laternen trugen und den Pfad beleuchteten aber Nie­mand dachte daran, sich aus Furcht vor den Mördern, wennschon deren Existenz stets von Neuem furchtbar zu Tage kam, in seinem Hause wie in einer Festung zu verschließen. Man spielte vielmehr ganz ungezwungen, gleichsam arglos, mit der Gefahr, in der man lebte.

Diese Art des Daseins in der Fremden­niederlassung von Jokohama war mir nicht unbekannt. Ich war im Jahre 1859 mit einem der ersten Dampfschiffe, welche die Reise von Shanghai nach Japan machten, in Jokohama angelangt und hatte dort in bewegten Zeiten ein Jahr lang gelebt. Unmittelbar vor meiner Ankunft, am 25. August 1859, waren zwei russische Seeoffiziere, die damit be­schäftigt waren, in der Hauptstraße von