Heft 
(1881) 299
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Lindau: Reise

anderen einen Revolver und sah verstört aus.

Es ist ein schrecklicher Anblick, und Niemand kann mehr helfen!" rief er mir! zu.Man hat sie zerhackt. Jeder von ihnen trägt viele Todeswunden!"

Wer ist ermordet worden?" fragte ich.

Ich weiß es nicht," antwortete Schnell. Ich ging soeben zufälligerweise an der Stelle vorbei, wo die That verübt worden ist; aber ich sah mich ganz allein unter vielen Japanern und ging deshalb wieder meiner Wege, um mir einen Begleiter zu suchen."

Da ich unter den Einwohnern von Jokohama zahlreiche gute Bekannte hatte, so wollte ich in Erfahrung bringen, wem ein Unglück Angestoßen sei. Ich folgte also den voraneilenden Laternen, und Schnell gesellte sich zu mir.

Das hölzerne Thor, von dem ich oben gesprochen habe, war verschlossen. Die Soldaten, die dort Wache hielten, öffneten es jedoch ohne Widerrede, als wir uns durch einen dichten Haufen von Japanern gedrängt hatten und Einlaß begehrten.

Einige hundert Schritte hinter der Barriere hatte man in der Mitte der Straße ein großes Feuer angezündet; um dasselbe standen japanische Soldaten. Einige von ihnen trugen die an einer hohen Stange befestigten Laternen des Gouverneurs von Jokohama. Es ging daraus hervor, daß dieser oder einer seiner Offiziere bereits am Platze sei. Dicht bei dem Feuer, auf der rechten Seite der Straße, lag inmitten einer Blutlache der Leichnam des einen der Ermordeten. Man hatte eine Bastmatte über ihn geworfen. Ich ließ diese in die Höhe nehmen, und mein Begleiter erkannte in dem Getödteten den holländischen Schiffs- capitän Decker. Sein Gesicht war durch vier Wunden, von denen jede tödlich war, schrecklich entstellt, sein ganzer Körper mit Wunden bedeckt. Die linke Hand war ganz abgehackt, und der rechten fehlten vier Finger. Einige Schritte weiter fanden wir die abgehauene Hand und einen zertretenen schwarzen Hut und ungefährhundertundfünfzig Schritte davon, auf der linken Seite der Straße, den Leichnam des Schiffscapitäns Boß. Das Gesicht dieses Unglücklichen war ebenfalls durch mehrere tödliche Wunden fast un-

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kenntlich gemacht. Der rechte Arm und die rechte Schulter waren ganz vom Leibe getrennt; es sah aus, als ob ein Fleischer mit einer schweren Axt den Körper zerhackt hätte. Als ich behülflich sein wollte, den Leichnam ans eine Bahre zu legen, damit er in das Haus des holländischen Consuls geschafft werden könnte, bemerkte ich, daß auch der Leib und der untere Theil des Körpers zerfleischt waren. Der Kopf wies aus der linken Seite eine Wunde, die vom Munde bis an das Ohr ging und Zähne und Kinnbacken gräßlich bloß­legte. Die Mörder mußten zahlreich ge­wesen sein und hatten ihre blutige That ungestört verüben können; es wurde jedoch später festgestellt, daß sie nichts gestohlen hatten.

Aus der Lage, in der die Leichen ge­funden worden waren, und aus den Aus­sagen zahlreicher japanischer Zeugen sowie eines Chinesen, aus der Erzählung endlich des Gastwirthes vomPokohama-Hotel" wurde es möglich, sich die ganze Mord­scene auszumalen.

Decker und Voß hatten um fünf Uhr imJokohama-Hotel" ihre Abendmahl­zeit eingenommen. Sie waren darauf in der Dämmerung hinausgegangen, um eine Promenade bis an das Ende der Straße zu machen. Sie waren langsam bis dahin gelangt, hatten dann ihren Rückweg angetreten und gegen sieben Uhr die Mitte des Ostendes der Straße erreicht, als sie plötzlich von hinten augefallen worden waren.

Die Mörder, acht oder zehn an der Zahl, hatten sich mit wüthendem Geschrei auf ihre Opfer gestürzt. Voß war nach dem ersten Schlage, der ihm Arm und Schulter abgehauen hatte, sterbend zu Boden ge­sunken. Decker hatte zu entfliehen ver­sucht, aber der alte Mann war leicht überholt und dann ebenfalls niedergemetzelt worden. Darauf hatten sich die Mörder in eine Querstraße geflüchtet, die aus der Stadt führte. Sie waren sämmtlich ver­mummt gewesen, und die japanischen Kauf­leute, vor deren Häusern die That began­gen worden war, wollten keinen der Mörder erkannt haben.

Unter den Fremden herrschte große Auf­regung nnd Bestürzung. Die Leichen von Voß und Decker waren eine Viertelstunde nach verübter That gefunden worden.