Lindau: Rcise-Erinnerungen.
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Die Ermordung des amerikanischen Legations- secreiärs Keinrich Heusken in Meddo am 19. Januar 1861.
Heinrich Heusken gehörte auch zu den „abenteuerlichen Gestalten", die mir während meiner Reise begegnet sind; — aber er war keineswegs ein unheimlicher Mensch. Er besaß beinahe nur liebenswürdige Eigenschaften, und was in seinem Leben geheimnißvoll und sonderbar erschien, war nicht derart, daß es Mißtrauen erweckt hätte. — Heusken stammte aus einer achtbaren holländischen Familie, hatte eine gute Erziehung genossen und war als junger Mensch — Niemand wußte warum, und er selbst sprach nicht davon — nach Amerika ansgewandert und hatte sich dort naturalisiren lassen. Er mochte, als ich ihn im Jahre 1859 kennen lernte, sechsundzwanzig Jahre alt sein, und ich erinnere mich seiner als eines großen, schweren Mannes mit breiten Schultern, mächtiger Brust und muskulösen Gliedmaßen; aber er vernachlässigte seine Haltung, und wenn er, mit den Händen in den Taschen, gesenkten Hauptes langsam dahergeschlendert kam, machte er den Eindruck eines untersetzten mittelgroßen Mannes von einigen dreißig Jahren. Heusken hatte schwarzes Haar und große, ernste blaue Augen. Wie vielen seiner holländischen Landsleute, so waren auch ihm vier Sprachen, nämlich Holländisch, Deutsch, Französisch und Englisch, gleich und vollständig geläufig. Auch sprach er gut Japanisch. Aber trotz aller Mittel des Ausdrucks, die ihm zu Gebote standen, war er ein stiller, ungewöhnlich schweigsamer Mensch, und ich bin oftmals stundenlang mit ihm aus einsamen Wegen in der Umgegend von Mddo spazieren geritten, ohne daß er den Mund geöffnet hätte. Nur wenn ein schönes landschaftliches Bild sich unerwartet vor uns ansbreitete, äußerte er sein Wohlgefallen daran in kurzen, beredten Worten. Seine größte Freude schien überhaupt die Natur zu sein, und da er deshalb viel im Freien war und ein Fremder in Aeddo sich nicht gut zu Fuß zeigen konnte, so war er beinahe den ganzen Tag über zu Pferde. Er saß schlecht und ungraziös im Sattel und ritt nachlässig mit schlaffen Zügeln, ohne aus den Weg zu achten;
aber er wurde leidlich gut auch mit störrischen und ungehorsamen Pferden fertig und konnte den ganzen Tag über im Sattel bleiben, ohne die geringste Ermüdung zu zeigen.
Heusken hatte in New-Jork die Bekanntschaft des amerikanischen Ministers, Herrn Townsend Harris, gemacht, und dieser hatte ihn als Secretär mit nach Japan genommen, als Simoda im Jahre 1856 den Amerikanern geöffnet wurde. In Simoda hatten die Herren Harris und Heusken lange Zeit ein ganz einsames Leben geführt. Sie waren beinahe nur auf sich angewiesen gewesen und hatten bei dieser Gelegenheit eine große Freundschaft zu einander gefaßt. Beide schienen es ganz natürlich zu finden, daß Heusken sich seinem Vorgesetzten gegenüber viele ungewöhnliche Freiheiten her- ansnahm; nicht selten geriethen sie in lebhafte Discussion, und gewöhnlich war es dann der Aeltere, der Minister, welcher dem Secretär nachgab. Doch war Heus- ken's Benehmen niemals respeetwidrig. Die beiden Sonderlinge — Townsend Harris war ebenfalls ein eigenthümlicher Mensch — behandelten einander wie nahe Verwandte.
In Simoda studirte Heusken Japanisch, und als die Franzosen nach Japan kamen, um dort einen Vertrag abzuschließen, versah der amerikanische Secretär aus Gefälligkeit den Dienst eines Dolmetschers bei der französischen Gesandtschaft. Auch der preußischen Mission wurde Heusken infolge einer freundlichen Uebereinkunft zwischen Herrn Townsend Harris und dem Grafen Eulenburg als japanischer Dolmetscher zngesellt.
Heusken fühlte sich in Aeddo, wohin er mit Herrn Townsend Harris von Simoda übergesiedelt war, wie zu Hause. Er kannte alle Wege und Stege in der Stadt und in der Umgebung und trieb sich tagtäglich allein in den entlegensten wie in den belebtesten und verrufensten Gegenden zu Pferde umher, ohne zu berücksichtigen, daß er sich auf diese Weise fortwährend großen Gefahren aussetzte. Townsend Harris machte ihm darüber ernste Vorstellungen; aber Heusken schlug sie in den Wind und sagte: wenn er in einem Ge- fängniß leben solle und nicht ins Freie könne, so möge man ihn lieber gleich todtschlagen.