Heft 
(1881) 299
Seite
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Benekc: Nordseclust

losigkeit eines operativen Eingriffs beklagt, wenn hundertfach die besten hygienischen Maßnahmen und Verhältnisse die Besse­rung der Schwächlinge vermissen lassen, in der nicht verstandenen oder nicht beach­teten oder auch in der irreparablen Be­schaffenheit der Constitutionen liegt der Grund dafür.

Doch auch hier beginnt es zu tagen. Nur derjenige steht hoffnungslos den ge­nannten Feinden gegenüber, der die deut­liche Sprache der Natur nicht versteht oder nicht verstehen will. Gewiß liegt es nicht in der Macht des Arztes, eine große Lunge klein oder ein enges Arteriencohr weit zu machen. Was sich als trauriges Erbtheil von Generation zu Generation fortpflanzt, läßt sich nur langsam und unter dem Einfluß günstiger Eheschließun­gen in den folgenden Generationen aus- gleichen. Aber der Arzt vermag durch verschiedene, wohldnrchdachte Maßnahmen zu corrigiren, was einer auf solchen anatomischen Fehlern beruhenden Con­stitution an Verkehrtheiten der Lebens­erscheinungen, das heißt Krankheitserschei- nnngen, entspringt, und nach dieser Rich­tung hin mehr und mehr ihre Arbeit concentrirend, wird die medicinische Wissen­schaft, wenn nicht Alles trügt, schon in nicht ferner Zeit neue Triumphe feiern.

Ganz im Allgemeinen gesprochen, kann man zwei durchaus verschiedene Arten von kranken Constitutionen von einander unterscheiden. Bei der einen Gruppe ist die ganze menschliche Maschine infolge der relativen Größenverhältniffe oder der anderweitigen Beschaffenheit ihrer einzel­nen Theile derart zusammengesetzt, daß das gesammte Arbeitsresultat derselben hinter' der normalen Größe zurückbleibt. Das sind die schwächlichen Constitutionen; und bei ihnen entwickeln sich die verschie­denen scrophulösen Leiden, die Lungen­schwindsüchten u. s. w. Allgemeine Lei­stungsunfähigkeit und große Reizbarkeit sind die begleitenden Erscheinungen dieser Leiden. Die andere Gruppe bilden ent­gegengesetzt die Constitutionen, deren ge­summter Organencomplex vermöge der relativen Größenverhältniffe oder ander­weitiger Beschaffenheit der einzelnen Or­gane mehr zu leisten vermag, als die ge­sunde Körperbeschaffenheit fordert, selbst­verständlich vorausgesetzt, daß einer solchen

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Constitution auch das für die Mehrleistung erforderliche Nahrungsmaterial zugesührt wird. Das sind die sogenannten robusten, vollblütigen oder starken Constitutionen; und bei ihnen entwickeln sich die Fettsüch­ten, die echten gichtischen Erscheinungen, die bösartigen Neubildungen, wie Krebs u. a.

Nun ist es auch wohl dem Laien klar, daß beide dieser Gruppen kranker Con­stitutionen eine ganz verschiedene Behand­lung erfordern müssen. Dort wird man mit allen nur möglichen Mitteln die Lei­stungsfähigkeit der Maschine heben und stützen, um sie vor dem Verfall zu schützen, hier wird man entziehend, mäßigend die zu große Triebkraft des gesummten Ap­parats in Schranken zu halten suchen. Es sind die mächtigen klimatischen Ein­wirkungen, die rationellen diätetischen Maßnahmen, die Bäder und Heilquellen verschiedenster Art, welcher man sich vor­zugsweise zu beiden Zwecken bedient. Mächtige Waffen sind damit in unsere Hände gegeben. Ihr Verständniß aber auch den nichtärztlichen Kreisen zu er­schließen, darf um so mehr als eine dan- kenswerthe Aufgabe betrachtet werden, als dieses Verständniß die wesentlichste Vorbedingung für einen segensreichen Ge­brauch jener Waffen selbst bildet.

Die klimatischen Heilorte, die Stätten der Bäder und Heilquellen, mit denen unser deutsches Vaterland so reich geseg­net ist, sollen nicht nur Stätten des Ver­gnügens, der Ausspannung, der Erholung sein. Sie sind vor Allem die wahren Heilstätten für constitutionelle Krankheiten, für chronisches Siechthum, und haben als solche eine sehr ernste Bedeutung. Diese Bedeutung erfordert wieder und wieder eine nachdrückliche Betonung. Aus dem theilweisen Verfall zu Stätten der Spe- culation, des übertriebensten Luxus und der rauschenden, die Gesundheit eher schä­digenden als fördernden Vergnügungen müssen jene Orte wieder zu wahrhaften Heilstätten heransgearbeitet werden, und es ist zu hoffen, daß Regierungen sowohl als Localbehörden diese Aufgabe im Auge behalten, wo es sich um Maßnahmen handelt, die, um diesem oder jenem Heil­orte eine höhere Frequenz zu sichern, ge­troffen werden.

Zwei verschiedene große Gruppen von