Heft 
(1881) 299
Seite
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Illu st rlrt e Deutsch e Monatshefte.

merkenswerth erscheint, von acutem Ge­lenkrheumatismus und Herzentzündung, einer Krankheit, die auf dem Continent so häufig das Leben der Kinder im zehnten bis fünfzehnten Lebensjahre gefährdet, ist innerhalb der vierzehn Jahre von 1865 bis 1879 unter sämmtlichen im zehnten bis sünsundzwanzigsten Lebensjahre Ver­storbenen kein einziges Opfer gefordert!

Die Sprache dieser Liften ist zu deut­lich, als daß ein Jrrthum möglich wäre! Was wir auf dem Continent so vielfach beklagen: die constitutionelle Schwäche und ihre oben bezeichneten Folgen, sie kommt auf den Nordseeinseln kaum oder nur in seltensten Fällen vor. Scrophulöse und schwindsüchtige Leiden, auf dem Continent so weit verbreitet, treten dort weit hinter anderweitigen Erkrankungen zurück. Die gesammten häuslichen Existenzen sind mit wenigen Ausnahmen der Art, daß sie das Hervortreten jener Leiden nach unse­ren Erfahrungen auf dem Continent eher fördern als zurückhalten müßten. Es bleibt kein anderer Schluß übrig, als daß das Nordseeinselklima jene Krank­heiten fern hält und daß dies Klima es ist, welches constitutionelle Schwächezu­stände beseitigt. Wohl stirbt aus der Insel eine relativ große Zahl von neuge­borenen Kindern bald an allgemeiner Lebensschwäche. Die Zahl der aus­schließlich der Todtgeboreuen im ersten Lebensjahre erliegenden Kinder beläuft sich auf 21 Proc. aller Todesfälle. Aber die Erklärung dafür liegt klar zu Tage. Die unter Frauen wie Männern weit ver­breitete Trunksucht und die oft außer­ordentlichen Anstrengungen der Frauen beim Fischfang und was dazu gehört ge­fährden die Entwickelung des Kindes, und die Lebensschwäche desselben ist die nur zu natürliche Folge davon.

Fast einzig in seiner Art steht bis dahin in der medicinischen Statistik dies in Bezug auf allgemeine Körperschwäche, scrophulöse und schwindsüchtige Leiden außerordentlich günstige Resultat da. Nur die Gebirgshöhen der Schweiz von 1500 bis 1800 m Erhebung bieten ähnliche Verhältnisse dar. Aber wenn man ver­anschlagt, daß die Beschäftigung und Lebensweise der Gebirgsbewohner im All­gemeinen eine sehr viel gesundere ist als die der Insulaner der Nordsee, so muß

dem Jnselklima noch eine Prärogative vor den Gebirgshöhen zugesprochen werden.

Sollen wir denn länger zögern, diese mächtige Kraft der Nordseeinsellust für unsere schwächliche und kranke Jugend, so­wie für die im Beginne der schwindsüchtigen Leiden Stehenden vollauf zu verwerthen? Ist es nur möglich, daß man in weiten, selbst ärztlichen Kreisen von diesen kost­baren Heilkräften der Meeresluft auch heute noch kaum eine Keuntniß hat? Daß man sich noch vielfach dem Wahne hiu- giebt, durch den Gebrauch von Sool- bädern könne Aehnliches erreicht werden wie von dem Aufenthalt an der See? Denn, wohlbemerkt, es ist nicht das Bad in der See, sondern die Meeresluft, welche den wesentlichsten Antheil hat an jenen glücklichen Resultaten. Der Insulaner geht kaum einmal während des Jahres in das Bad, und doch zeigt er jene Immunität gegen scrophulöse und schwind­süchtige Leiden. Und wenn er Winter wie Sommer ohne anderen Schutz gegen Kälte nnd Wind, als wir ihn auf dem Festlande gebrauchen, aus seinem Eilande lebt, so mag uns das von vornherein die Anschauung einleuchtend machen, daß auch das Herbst- und Winterklima unserer Nordseeinseln nur hemmend jenen Leiden entgegentritt. Den Soolbädern ihr volles Recht. Sie besitzen vortreffliche Heilkräfte für eine große Reihe von Krankheitszuständen schwerer und schwer­ster Art. Aber in Bezug auf die Be­seitigung coustitutioneller Schwächezu­stände können sie sich mit dem Aufenthalt an der Nordseeküste nicht messen.

Die in Bezug auf die Wirkungen dieses Aufenthaltes angeführten Thatsacheu sind zweifellos. Von ihnen den richtigen Ge­brauch machen, heißt den Continental- bewohnern eine Quelle der Gesundheit er­schließen. Aber nicht zufrieden mit den Thatsachen allein, wird der Denkende nach deren Grund, nach der Erklärung fragen, weshalb denn die Meeresluft eine so mächtige Heilpotenz bilde?

Zwei Factoren sind es vor Allem, welche der Meeresluft abgesehen von ihrer Reinheit ihre auszeichnenden Eigen­schaften verleihen. Dies sind ihr Feuch­tigkeitsgehalt und ihre Bewegung.

Der absolute Feuchtigkeitsgehalt der uns umgebenden Luft ist wesentlich von