Heft 
(1881) 299
Seite
619
Einzelbild herunterladen

Beneke: Nordsee! u ft

drei Bedingungen abhängig: von der

Menge des an einem Orte überhaupt vorhandenen Wassers, von der Tempera­tur der Luft und von dem Luftdruck. Je mehr Wasser vorhanden, je höher die Tem­peratur der Luft und je höher der Luft­druck, um so größer ist der Wassergehalt der Lust. Daher ist derselbe ani größten in der Gegend des Aequators und nimmt ab, je weiter man nach Norden hin vor­schreitet. Aber über und an den Ufern der Nordsee ist er bei gleicher Temperatur immer noch beträchtlich größer als im Binnenlande und auf den Gebirgshöhen. Auf letzteren ist er nicht nur des Mangels an Wasser halber, sondern namentlich auch infolge des niedrigen Luftdrucks geringer als an den Meeresküsten. Es erhellt hieraus, daß der absolute Wassergehalt der Luft z. B. in Davos beträchtlich ge­ringer ist als auf Norderney; hier eine unendliche Wasserfläche, dort relativ wenig Wasser; hier im Mittel etwa 757 Barometerstand, dort 620. Dieser ab­solute Feuchtigkeitsgehalt der Luft ist aber vom größten Einfluß auf das Befinden des Menschen, ja er bestimmt zweifellos zum Theil den Nationalcharakter. Die trockene Lust wirkt reizend auf das Ner­vensystem, sie erregt; die feuchte Luft wirkt erschlaffend, sie beruhigt. Der in sehr trockener Luft lebende Nordamerikaner zeichnet sich durch eine fieberhafte Unruhe aus, selten trifft man dort wohlbeleibte Menschen. Der Holländer, wie alle Be­wohner der Nordseeküsten, ist von ruhigem Temperament, phlegmatisch. Einiger­maßen reizbare Personen nehmen sofort den Wechsel von feuchter und trockener Luft in ihrem Allgemeinbefinden wahr. Ist die große Feuchtigkeit mit hoher Luft­temperatur gepaart, wie es in den Aequato- rialgegenden der Fall ist, so wirkt sie leicht sehr ermattend; und wo man, wie bei constitutionellen Schwächezuständen, stets auf eine Hebung der Kräfte Bedacht zu nehmen hat, wird die Feuchtigkeit, ge­paart mit kühlerer Temperatur, derjenigen mit höherer Temperatur vorzuziehen sein. Dies ein Grund, weshalb die Lungen­leidenden sehr häufig aus Madeira wohl leichter respiriren, aber keinen Zuwachs an Kraft erfahren.

Aber die Feuchtigkeit der Luft hat noch besondere Wirkungen, und unter diesen

und Nordseehospize. 619

steht diejenige auf die Respirationsorgane obenan. Ist die Lust trocken, so giebt die Schleimhaut dieser Organe stets mehr Wasser an dieselbe ab; die Verdunstung an den Schleimhäuten wird gesteigert und damit der Blutzufluß zu denselben ver­mehrt; die Respiration ist weniger leicht, es entwickeln sich leicht Katarrhe und selbst Entzündungen der Luftwege. Daher herrschen diese Krankheiten bei uns, wenn anhaltend trockene Ostwinde wehen. Ist die Luft dagegen feucht, so bleiben alle diese Erscheinungen fern. Man athmet die Lust mit Behagen, Katarrhe und Entzündungen der Luftwege treten selten oder gar nicht auf. Daher das außer­ordentliche Behagen, welches Lungen­leidende sofort im Athmen empfinden, wenn sie in das wassergeschwängerte Luft­meer treten.

Diese Verhältnisse erhalten eine noch höhere Bedeutung, wenn man erwägt, daß der Mensch in der gemäßigten Zone und auf den Gebirgshöhen einen sehr großen Theil seines Lebens im geschlosse­nen und künstlich erwärmten Zimmer zu­bringt. Für die Sommerzeit ist der Wassergehalt der freien Luft und der Zimmerluft annähernd gleich. Wird aber im Herbst und Winter die Luft des Zimmers erwärmt, so dehnt sie sich aus, und ihr absoluter Wassergehalt wird da­durch beträchtlich herabgesetzt. Ist die atmosphärische Luft unter diesen Umstän­den sehr reich an Wasserdamps, wie z. B. auf Norderney, so verbleibt auch der erwärmten Zimmerluft stets noch eine zum Wohlbefinden genügende Feuchtigkeit erhal­ten; ist dagegen die äußere Luft arm an Wasserdämpfen, wie in Davos, so sinkt der Feuchtigkeitsgehalt der erwärmten Zimmer aus eine bedenkliche Stufe herab. Ein in Davos selbst beschäftigter Arzt, I)r. Volland, theilt uns mit, daß dort im Winterdie Haut aufspringt und rauh wird, daß die Lippen und Nasenschleimhaut mitunter wund werden, daß die Möbeln sich werfen, die Cigarren austrocknen." Nach von dem Verfasser dieser Zeilen in Marburg und von Herrn Apotheker Ommen ans Norderney während des verflossenen Winters angestellten Beobachtungen ergab sich, daß die relative Feuchtigkeit der er­wärmten Zimmerluft in Norderney fast stets um 100 höher ist als in Marburg, ein