Heft 
(1881) 299
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Jllustrirte Dentj

Moment, welches für Brustleidende von größter Bedeutung ist und welches sich, wie Versuche gelehrt haben, künstlich in j keiner Weise ersetzen läßt. Ueberschlage man, wie viel Tagesstunden der Kranke im Herbst und Winter in der geschlossenen Zimmerluft zubringt, und die Wichtigkeit dieses Moments wird Jedem einleuchtend sein.

Eine dritte wesentliche Wirkung des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft auf den Organismus kommt noch hinzu. Je höher derselbe ist, um so langsamer erfolgt die Verdunstung des Wassers an der Oberfläche der Haut, eine Verdunstung, welche ununterbrochen die Lebensvorgänge begleitet. Rasche Verdunstung an der Oberfläche der Haut bedingt aber Ab­kühlung und Erkältung derselben, und in feuchter Atmosphäre werden deshalb auch diese Verdunstungserkältungen weniger leicht erfolgen als in trockener Luft. Es stimmt damit die allgemeine Erfahrung überein, daß man sich am Meeresgestade weniger leicht erkältet als auf dem Fest­lande.

So treten die beruhigenden Wirkungen der Feuchtigkeit der Luft auf das Allgemein­befinden, die hohe Bedeutung derselben für den Blutgehalt der Schleimhäute der Respirationsorgane sowie für die Mäßi­gung der Verdunstung an der äußeren Haut zusammen, um uns den Einfluß derselben auf das Befinden des Menschen zu erklären. Wohl mancher Patient, der am Nordseestrande verweilte, wird dem zu widersprechen geneigt sein. Hört man doch so oft die Klage, der Aufent­halt ans einer unserer Nordseeinseln habe zu sehr aufgeregt"! Aber was ein un­vorsichtiger Gebrauch des Seebades und andere Fehler in dem Verhalten der Kranken verschuldet haben, darf der See­luft nicht zur Last gelegt werden, und solche Anklagen werden verstummen, wenn man Seeluft und Seebad zu unterscheiden und von beiden den richtigen, dem Indi­viduum angemessenen Gebrauch zu machen lernt. Daß alljährlich eine Anzahl von Kranken an die Nordsee wandert, welche überhaupt nicht dorthin gehört, unterliegt dabei keinem Zweifel.

Der zweite wesentliche Factor der Meeresluft am Nordseestrande ist die Bewegung derselben. In den so oft

sche Monatshefte.

gefürchteten Winden liegt ein Stärkungs­mittel von unberechenbarem Werthe. Und j es sind stets mehr oder weniger wasser­geschwängerte Luftströmungen, die den Körper treffen. Diese Strömungen entziehen dem Körper ständig ein gewisses Quantum von Wärme. Die Entziehung der Wärme steigert aber die innere Arbeit des Organismus. Eine erhöhte allgemeine Lebensthätigkeit ist die Folge davon, und in der Steigerung des Appetits sowohl als in dem gesteigerten Schlafbedürfniß und auch in ruhigerem Schlaf findet dieselbe ihren Ausdruck. Aber freilich, um diese Wirkungen im vollen Maße hervortreteu zu lassen, wollen die Luftströmungen mit Maß und Vorsicht genossen sein. Der sehr geschwächte Organismus verträgt die­selben täglich nur auf kurze Zeit; er soll womöglich zunächst nur au mehr geschütz­ten Plätzen verweilen. Mit zunehmender Kräftigung kann man dann den Aufent­halt am Strande mehr und mehr steigern. Der kräftige Körper wird sich den Win­den schließlich stundenlang aussetzen dürfen. Aber auch er bedarf des Maßes, um seine Lebensthätigkeiten nicht zu hoch hinaufzuschrauben. Noch fehlt es fast ganz an einer richtigen Methodik dieses Seeluft- genuffes für Kranke. Aber ihre Aus­bildung wird mehr und mehr den mächti­gen Einfluß desselben hervortreteu und erkennen lassen. Dann werden auch hier die Klagen verstummen, die hier und dort über dasAufregende" der Seeluft in­folge unrichtigen Genusses derselben er­hoben worden sind.

Die eben erwähnte Wärmeentziehung unterscheidet sich von allen anderen Arten der Wärmeentziehung in einer sehr be- merkenswerthen Weise. Zunächst erfolgt dieselbe in meistens sehr langsamem Gange, und um so langsamer, je mehr die Feuch­tigkeit der Luft die Verdunstung an der Oberfläche der Haut mäßigt. Während aber die Luftströmungen auf dem Fest­lande oder auch kalte Bäder (ohne nach­folgende Frottirungen) leicht ein Kälte­gefühl der Haut erzeugen, übt der stärkere, oft brausende Seewind eine Reizung aus die Hautnerveu aus, welche alsbald trotz aller Wärmeverluste eine erhöhte und höchst angenehme Wärme der Haut empfin­den läßt, ähnlich etwa, wie es bei einer richtig angewandten kühlen Douche der