Heft 
(1881) 299
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Benekc: Nordsee! u ft

Borkum, Sylt und Föhr an der Nordsee und Gr. Müritz und Kolberg an der Ost­see ins Auge gefaßt. Die erste größere Anstalt soll, sobald die Mittel dazu vor­handen sind, auf Norderney errichtet werden.

Mögen denn auch diese Blätter dieses Unternehmen in weiten Kreisen bekannt zu machen beitragen und mögen sie ihm Freunde zuführen! Tragen wir auch in Deutschland die erforderlichen Mittel zu­sammen, um ein schönes und großes Ziel zu erreichen! Erschließen wir endlich die reiche Heilquelle im Norden unseres Vater­landes der deutschen Jugend, welche durch Schwäche und Krankheit in ihrer Ent­wickelung gehemmt ist, und lassen wir an die Stelle der Sorge um die Krankheit die Freude über die Genesung treten! Helfet Alle, die ihr diese Zeilen leset, zur Erfüllung einer großen und nationalen Aufgabe!

Durchdrungen von der Gewißheit, daß die Resultate dieses Unternehmens nur erfreulichster Art sein werden, kann der Verfasser dieser Zeilen aber nicht schlie­ßen, ohne sofort noch einem weiteren Ge­danken Ausdruck zu geben. Es wurde oben besonders darauf aufmerksam ge­macht, daß die schwerer erkrankten Kinder in Margate und Berck 8ur msi- nicht nur Wochen, sondern Monate und Jahre ver­weilen. Gar manche bemittelte Familien auf dein Lande oder in kleineren Städten Deutschlands sind oft genöthigt, ihre Kin­der Erziehnngsinstituten und Schulen zu übergeben, welche fern von der Heimath liegen. Gar oft bieten diese Kinder Schwüchezustände und Krankheitserschei- unngen dar, welche die Eltern mit dop­pelter Sorge bei der Trennung erfüllen, und ebenso oft wird dann, um diese Kin­der zu kräftigen, die kurzbemessene Zeit der Ferien benutzt, um die Meeresküste

und Nordscehospizc.

aufzusuchen. Liegt es bei Ueberlegung all' dieser Verhältnisse nicht nahe, daran zu denken, ein Erziehungsinstitut auf der am leichtesten zugänglichen Insel Norder­ney selbst zu gründen und die betreffenden Kinder, ohne daß in ihrer Ausbildung etwas vernachlässigt würde, in dieser Weise für Jahre der heilsamen Meeresluft aus­zufetzen? Kein Gymnasium, kein Erzie- hungsinstitnt würde trefflichere Resultate in Bezug auf die Gesundheit der Schüler und Schülerinnen aufzuweisen haben als ein solches auf der vom Meere umspülten Insel, und die Kosten eines Aufenthaltes in demselben würden nicht größer sein als diejenigen in einem Gymnasium oder einer Erziehungsanstalt des Festlandes. Der Gedanke, einen Winter auf der Insel zu­zubringen, liegt den Bewohnern des Con- tinents noch so fern und ist ihnen so fremd, daß der angedentete Plan voraussichtlich manchem Kopfschütteln begegnen wird. Aber es existiren Gymnasien in Emden, in Norden, in Jever, Städten, die weit weniger gute sanitäre Eigenschaften be­sitzen als die Insel Norderney selbst und nahe der Küste fast in gleicher geographi­scher Breite mit dieser liegen. Es existirt, dank den Bemühungen des Prof. Perthes, ein Erziehnngsinstitut selbst auf den Höhen von Davos! Der Beweis von der Salu- brität eines Winteraufenthalts ans Nor­derney für schwächliche und scrophulöse Kinder sowie für Brustleidende wird, wie ich glaube, nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wird man sich nach allen voran­stehenden Mittheilungen sträuben, den hin­geworfenen Gedanken aufzunehmen und näher zu verfolgen? Ein Saatkorn kann der Wind verwehen, aber auch ein fruchtbarer Boden nimmt es oft auf, es keimt und es trägt Früchte. Ausgestrent ist das Korn. Ob der Wind es verweht? Die Zukunft wird's lehren.

Monatshefte, N. 299. August 1881 . Vierte Folge, Bd. VI. 35.

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