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Kapp: Zur neuen
Aufschritt zur Kenutuiß der Welt außer ihr das Wissen von ihrer eigenen inneren Welt sich in Selbstkenntniß nmsetzen zu lassen.
Die Schrecken der Eismeere und der Tropen reizen den Wissensdrang mehr als sie ihn dämpfen; die kühne Hantirung mit dem elektrischen Funken vervollkommnet sich zur spielenden Virtuosität für Auge und Ohr; sogenannte genieine Werkzeuge, Spitzhacke und Schaufel, erwecken mythische Culturen aus mehrtausendjähriger Verschüttung; die mikroskopische Zerkleinerungskraft rastet und ruht nicht, um den biologischen Anfängen auf den Grund zu schauen — lauter Leistungen menschlicher Willens- und Geisteskraft, die, nach dem ersten Anschein, durch eine neue Entdeckung um so weniger überboten werden können, je mehr, entsprechend dem anfänglich betäubenden Eindruck ihres Hervortretens, Zweifel und Unglaube die allgemeine Anerkennung zu erschweren pflegen. Dem „Schauen und Schaffen" des deutschen Genius Pflegt, je ferner er den Fachkreisen steht, die Feuerprobe der Anerkennung am wenigsten erspart zu sein; doch wird auch die neueste Entdeckung siegreich aus ihr hervorgehen. /Besteht sie ja in nichts Geringerem als in der durch infallible photographische Erhärtung bewiesenen Thatsache, daß Meteorsteine und Meteoreisen durchaus nur organischen Ursprungs sind, ja daß der erste Anfang unseres und daher aller Planeten eine organische Bildung war.
Aus Grund der Bestätigung, daß Meteorsteine Pflanzen oder daß wenigstens Pflanzen in: Meteorstein sind, klingen Vermuthungen, es könnte das erste Leben unserer Erde auch von einem anderen Planeten übertragen worden sein, weniger seltsam als Aehnliches, was vordem hierüber geäußert worden ist. Doch kann in dieser Beziehung nur Thatsächliches in Betracht kommen. So ereignen sich zwar Meteorsteinfälle nach Chladni's Berechnung im Durchschnitt für die ganze Erde täglich zweimal, aber Ladungen von mikroskopischen organischen Keimen bringen sie nicht mit. Was sie aber mitbringen, das sind glaubwürdige, überzeugende Nachrichten in stein- und eisenfester Bilderschrift über eine unorganische, in ihrem Bestand der Erdwelt gleiche Schöpfung.
Weltanschauung.
Der Eine, welcher diese Schrift enträthselt hat, ist bemüht gewesen, sie nach schwerer Arbeit auch für Andere lesbar zu machen. In dem Sinne also, in welchem jede Post die Ueberbringerin von Nachrichten und Botschaften ist, mag man auch bildweise von einer Meteorpost reden. Die Botschaft, welche sie verkündet, wird als Ferment für die Grundlegung einer veränderten Weltanschauung allmälig nach ihrer ungeheuren Tragweite gewürdigt werden.
Wir treten nunmehr der Entdeckung selbst näher, vr. O. Hahn in Reutlingen hat mit seinem Werke über die „Meteorite (Chondrite) und ihre Organismen"* den Zeitgenossen am Schluß des verwichenen Jahres eine wissenschaftliche Gabe gespendet, deren Inhalt von einer der größten Entdeckungen aller Zeiten Kunde giebt. Welch einen glänzenden Zuwachs die Reihe seiner berühmten schwäbischen Landsleute Kepler, Schiller, Schelling, Hegel, Uhland, Strauß, Rob. Mayer an ihm erhalten hat, wird am geeignetsten durch eine kurze Berührung des ganz eigenthümlichen Herganges der Entdeckung belegt werden.
Es war um die Mitte der sechziger Jahre, als von Montreal in Canada die Kunde von einem Fund nach Europa drang, die unter Geologen und Paläontologen das größte Aufsehen erregte. Es sollten nämlich in einem der in Serpentinkalk des Laurentiangneißes eingebetteten Knollen
* Die Meteorite sind entweder Eisen- oder Steimneteorite und heißen, wenn beide Formen mehr oder minder gemengt erscheinen, Pallasite. Diese sind je nach dem Verwiegen des Eisens sehr verschieden. „Eine dritte Classe, die am häufigsten fallenden Meteorsteine, besteht aus einem Gemenge von Körnchen und Meteoreisen, Magnetkies, Chromeisen, Titanit, Olivin, Augit, Bronzit, Anorthit, Quarz u. s. w., in welcher Masse sich aufs zahlreichste eingelagert finden kleinere oder größere Helle kugelige oder bimförmige Kügelchen, scheinbare Krystalldrusen von Kieselverbindungen, Bronzit oder Enstatit genannt. Diese mineralogisch schwierig zu charaktcrisirenden, in chemischer Beziehung sehr variablen Steine werden Chondrite genannt. Zuweilen sind diese Chondrite ganz schwarz, und in ihnen wurden amorphe Kohle und bituminöse Stoffe als wahrscheinliche Zersetzungs- producte organischer Verbindungen wahrgenommen, über deren Natur keine Vermuthung gewonnen werden konnte." Rccension des obigen Werkes von Professor I)r. Hermann Karsten in der „Natur" Nr. 14 und 15, 1881.
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