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Jllnstrirte Deutsche Monatshefte.
jenigen Überlieferungen anhaftet, welche bei gleich langer Zeitdauer in vollkommen insularer Abgeschiedenheit niemals von den Stnrmflnthen der Weltgeschichte berührt worden sind. Denn nur so wird es erklärlich, daß letztere als ein unversehrtes Ver- mächtniß ans dem geheimnißvollen Gewahrsam der Priesterschaft eines Naturvolkes, dessen Ueberbleibsel erst jetzt dem Untergang unaufhaltsam zneilen, gerettet und der Pflege einer neuen Aera überantwortet sind, die sich der hohen Aufgabe, mit einem so kostbaren Pfunde reichlich zu wuchern, Pflichtschuldig unterziehen wird.
Jene ersten menschlichen Gesellschaften der alten Continente, aus deren Mitte Schöpfnngs- und Göttersagen hervorgegangen waren, haben, abgesehen von dürftigen Resten erster roher Steingeräthe, Spuren ihrer Mühen nms Dasein nicht hinterlassen. Sie sind früh verschwunden. Allerdings bewahrten die, welche nach ihnen kamen, die Kunde von deren irdischem Dagewesensein und von deren heiligen Sagen durch mündliche Ueberlieferung und spätere schriftliche Aufzeichnung. Die ursprüngliche Reinheit der Sage wurde jedoch allmälig im Wechsel geschichtlicher Anstöße durch Umbildungen mehr und mehr verdunkelt. So ist denn auch bis heute die Entwirrung des eigentlichen Bestandes aus späteren Znthaten heraus erschwert, wo nicht ganz unmöglich.
Anders bei einer Völkerschaft, die, fern von geschichtlichen Collisionen mit ihren unvermischten heimathlichen Sagen Jahrtausende überdauernd, das persönliche Zeugniß ablegt für den lebendigen Zusammenhang zwischen ihrem Naturdasein und ihrer ursprünglichen geistigen Substanz, welche sprachlich geformt in wörtlicher Weitergabe durch Priestermnnd der Vergessenheit entrissen werden konnte.
Also ständige, unabgelöste Depositäre einer urättesten Schöpfungsgeschichte aus demselben heimathlichen Boden, noch athmend die Lebenslust der Gegenwart! Dies ist die eminente Bedeutung von Bastian's Entdeckung.
Der unbefangenen Beurtheilung der zwei Seiten dieser Betrachtung wird es kaum entgehen, daß dieselben, nach ihrer historischen Wechselbeziehung geprüft, gleich berechtigt sind. Freilich mag der Zweifel
einwenden: dort Bewegung und Fortschritt im erwachenden Bewußtsein der Befreiung aus den Banden der Naturmächte, hier Ruhe und vegetirendes Fort- existiren; dort Entwickelung im Wettkampf der angeborenen Kräfte zwischen Stämmen und Völkern, hier Stillstand, Schlummer und Degeneration ans Mangel an geschichtlichem Zünd- und Brennstoff — wo bleibt denn da die Gleichberechtigung? Sie liegt, ist die Antwort, in der Ausgleichung, die sich von selbst ergiebt, sobald die vom Streit der Lehrmeinungen unberührte, von Einbußen verschonte, vom Eindringen fremder Znthaten nicht entweihte Priestersage in ihrer ursprünglichen Reinheit den Richtweg zeigt, auf dem es ferneren Deutungsversuchen erleichtert werden wird, das bisherige Dunkel der antiken Sagenkreise in Helle zu verwandeln.
Allerdings erscheint ans den ersten Blick der Gedanke an Ausgleichung unhaltbar, wenn man sich zu veranschaulichen sucht, wie zwerghast winzig sich jenes insulare Fragment von Naturmenschen und seine stille Schöpsnngssage neben dem riesenhaften, erdweiten, geräuschvollen Schaffen der Cultur, gefolgt von einer Zersetzung heidnischer Mysterienweisheit, ansnimmt. Gleichwohl entscheidet auf dem Gebiet des Geistes nicht das äußere Gleichgewicht, sondern die Stoßkraft des inneren Gegengewichtes, unter dessen dynamischen Wirkungen auch das scheinbar Kleine eine Großmacht wird. Warum nicht auch heute, wo sich die Sehnsucht nach einer Ablösung unhaltbar werdender Zustände durch eine erneuerte Weltanschauung immer fühlbarer anf- drängt?
Wer in Betreff des Hervorgehens des Unorganischen aus Organischem behaupten wollte, daß die Vermittelung zwischen der speculativen Auffassung und dem exacten Vorgehen, deren Repräsentanten für unseren Fall Preuß und Hahn sind, in der obigen Erörterung nicht ausreichend motivirt wäre, den müßte der Einsatz der zuletzt eingeführten Autorität vom Gegentheil überzeugen. Jene aus der Südsee stammenden Documente, nach der Zeit ihrer Auffindung selbst eine Art Petrefact, nach der Beschaffenheit ihres Inhaltes eine mit den Stufenfolgen der