Heft 
(1881) 299
Seite
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Jllnstrirte Deutsche Monatshefte.

jenigen Überlieferungen anhaftet, welche bei gleich langer Zeitdauer in vollkommen insularer Abgeschiedenheit niemals von den Stnrmflnthen der Weltgeschichte berührt worden sind. Denn nur so wird es erklär­lich, daß letztere als ein unversehrtes Ver- mächtniß ans dem geheimnißvollen Ge­wahrsam der Priesterschaft eines Natur­volkes, dessen Ueberbleibsel erst jetzt dem Untergang unaufhaltsam zneilen, gerettet und der Pflege einer neuen Aera über­antwortet sind, die sich der hohen Aufgabe, mit einem so kostbaren Pfunde reichlich zu wuchern, Pflichtschuldig unterziehen wird.

Jene ersten menschlichen Gesellschaften der alten Continente, aus deren Mitte Schöpfnngs- und Göttersagen hervorge­gangen waren, haben, abgesehen von dürftigen Resten erster roher Steingeräthe, Spuren ihrer Mühen nms Dasein nicht hinterlassen. Sie sind früh verschwunden. Allerdings bewahrten die, welche nach ihnen kamen, die Kunde von deren irdischem Dagewesensein und von deren heiligen Sagen durch mündliche Ueberlieferung und spätere schriftliche Aufzeichnung. Die ursprüngliche Reinheit der Sage wurde jedoch allmälig im Wechsel geschichtlicher Anstöße durch Umbildungen mehr und mehr verdunkelt. So ist denn auch bis heute die Entwirrung des eigentlichen Bestandes aus späteren Znthaten heraus erschwert, wo nicht ganz unmöglich.

Anders bei einer Völkerschaft, die, fern von geschichtlichen Collisionen mit ihren unvermischten heimathlichen Sagen Jahr­tausende überdauernd, das persönliche Zeugniß ablegt für den lebendigen Zu­sammenhang zwischen ihrem Naturdasein und ihrer ursprünglichen geistigen Sub­stanz, welche sprachlich geformt in wört­licher Weitergabe durch Priestermnnd der Vergessenheit entrissen werden konnte.

Also ständige, unabgelöste Depositäre einer urättesten Schöpfungsgeschichte aus demselben heimathlichen Boden, noch athmend die Lebenslust der Gegenwart! Dies ist die eminente Bedeutung von Bastian's Entdeckung.

Der unbefangenen Beurtheilung der zwei Seiten dieser Betrachtung wird es kaum entgehen, daß dieselben, nach ihrer historischen Wechselbeziehung geprüft, gleich berechtigt sind. Freilich mag der Zweifel

einwenden: dort Bewegung und Fort­schritt im erwachenden Bewußtsein der Befreiung aus den Banden der Natur­mächte, hier Ruhe und vegetirendes Fort- existiren; dort Entwickelung im Wettkampf der angeborenen Kräfte zwischen Stämmen und Völkern, hier Stillstand, Schlummer und Degeneration ans Mangel an ge­schichtlichem Zünd- und Brennstoff wo bleibt denn da die Gleichberechtigung? Sie liegt, ist die Antwort, in der Aus­gleichung, die sich von selbst ergiebt, so­bald die vom Streit der Lehrmeinungen unberührte, von Einbußen verschonte, vom Eindringen fremder Znthaten nicht ent­weihte Priestersage in ihrer ursprünglichen Reinheit den Richtweg zeigt, auf dem es ferneren Deutungsversuchen erleichtert werden wird, das bisherige Dunkel der antiken Sagenkreise in Helle zu ver­wandeln.

Allerdings erscheint ans den ersten Blick der Gedanke an Ausgleichung un­haltbar, wenn man sich zu veranschau­lichen sucht, wie zwerghast winzig sich jenes insulare Fragment von Naturmen­schen und seine stille Schöpsnngssage neben dem riesenhaften, erdweiten, ge­räuschvollen Schaffen der Cultur, gefolgt von einer Zersetzung heidnischer Mysterien­weisheit, ansnimmt. Gleichwohl entschei­det auf dem Gebiet des Geistes nicht das äußere Gleichgewicht, sondern die Stoß­kraft des inneren Gegengewichtes, unter dessen dynamischen Wirkungen auch das scheinbar Kleine eine Großmacht wird. Warum nicht auch heute, wo sich die Sehnsucht nach einer Ablösung unhaltbar werdender Zustände durch eine erneuerte Weltanschauung immer fühlbarer anf- drängt?

Wer in Betreff des Hervorgehens des Unorganischen aus Organischem behaupten wollte, daß die Vermittelung zwischen der speculativen Auffassung und dem exacten Vorgehen, deren Repräsentanten für unseren Fall Preuß und Hahn sind, in der obigen Erörterung nicht ausrei­chend motivirt wäre, den müßte der Ein­satz der zuletzt eingeführten Autorität vom Gegentheil überzeugen. Jene aus der Südsee stammenden Documente, nach der Zeit ihrer Auffindung selbst eine Art Petrefact, nach der Beschaffenheit ihres Inhaltes eine mit den Stufenfolgen der