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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.
die Erinnerung an seine Abstammung bewahrt, ebenso erklärt man sich Familien- und Stammesähnlichkeiten bei Thieren und Menschen. Gleicht also ein Mensch, „wie er leibt und lebt", einem seiner Vorfahren, oder wird er „leibhaftig" als dieser oder jener Race angehörig erkannt, so ist das derselbe Fall. Die Seele, das in organischer Gestaltung und Umgestaltung sichtbar werdende Lebensprincip, hat nach eingeborenen Erinnerungen bestimmte Vorbilder bis in verschwindend entfernte Anfänge rückwärts festgehalten. Ein solches Wiederaufleben von einst leibhaftig vorhanden gewesenen Eigenschaften liegt außer aller Absicht und Kenntniß der Erzeuger und Nachkommen. Sie können nichts dafür, es geschieht ihnen unbewußt. Sie müssen sich die nach ihren unbewußten Herkunftserinnerungen ausgeprägten leiblichen und geistigen Erbeigenthümlich- keiten gefallen lassen.
Versetzen wir uns aus diesen Kreisen der tagtäglichen Beobachtung und Erfahrung an Individuen auf das Proscenium der Urgeschichte. Die Gattung Mensch tritt auf, die Erde läßt sie auftreten. Die Menschheit beginnt sich über ihren Wohnplatz zu orientiren. Beide sind, mit einander und für einander, gleichzeitige Products desselben Schöpfungsprocesses!
Die Aufschlüsse, welche die „Meteorite" ertheilt haben, sowie die der copernica- nischen Umkehrung des antiken Weltsystems analoge Erhebung des Urorganischen zur centralen Sonne der Weltanschauung machen es einleuchtend, daß der unbewußten Herkunftserinnerung auch der Prolog der Menschheitsgeschichte anheimgefallen ist. Die Erinnerung, eine eigentliche Er-Jnnerung, ist das Sicherschließen eines Inneren und vollzieht sich als Ausgestaltung der Idee der Menschheit im Menschen selbst, indem ihm unbewußt der Verlauf seines eigenen Werdens in dem Werden der Schöpfung vorschwebt. Er läßt dann auf dem Umwege der Umschau in der stammverwandten Außenwelt, wie ihn die nächsten natürlichen Anknüpfungspunkte für die geistigen Operationen zu bieten pflegen, das Product der Er- Jnnerung, die Schöpfungssage, als Reflex des eigenen Inneren hervortreten. Diese Kundgebung steht also nicht etwa unter der Einwirkung eines willkürlichen Zwan
ges von außen, sondern ist das freie Ergebniß innerer Nothwendigkeit, also der Vernunft. Wie jede Blutsverwandtschaft innere Bestimmungsgründe hat, so kommen diese auch der Stammverwandtschaft zu, worin Natur, Mensch und Schöpfungssage stehen. Die Leugnung ihres Zusammengehörens und ihrer Wechselwirkung nach innerer Nothwendigkeit von Anbeginn an würde der Sache Zwang anthun, während die freie Anerkennung der Wahrheit der thatsächlichen inneren Verwandtschaft vernunftgemäß ist. Daher heißt es mit Recht bei Preuß: „Wir sehen nun ein, daß Natur und Vernunft übereinstimmen müssen, weil die erste die andere im Gefolge gehabt hat."
Es war uns hier daran gelegen, ans Veranlassung der von Bastian gemachten Entdeckung und im Verlaß auf die logische Schärfe der Untersuchungen von Preuß, der Begründung der allgemeinen Ueber- einstimmung der Schöpfungssagen, sowohl ihrem Inhalt wie ihrer allegorischen Fassung nach, entgegenznkommen. Gleichzeitig suchten wir aber auch mittelst Vorführung dieser Uebereinstimmung die von Hahn in blendender Helle für die Ver- standesbesriediguug ausgebreiteten Schätze unter der idealen Verklärung durch die von Bastian zugeführte kosmogonische Sagenweisheit einer der Sache selbst vor- theilhaften, nachhaltigeren Betrachtung theilhaftig zu machen.
Mit dem Zugeständniß, daß, der Uni satztheorie entsprechend, das Unorganische des Erdkörpers ein Maß der Entwickelung der Organismen ist, welche sich ihn zum Träger gebildet haben, daß also Erde und Mensch sich balanciren, wird auch die Einsicht nicht ausbleiben, daß wir nur auf diesem Wege den Menschen zu begreifen und der Anthropologie den Besitz eines unbestreitbaren Princips zu sichern vermögen,
Die der Erde zuerkannte Bewegung, die i'Lvolutio, hatte über die Specialwissenschaft hinaus auch eine Revolution im Gesammtgebiet des Geistes zur Folge. Eine gleiche Wirkung läßt die von den „Meteoriten" ausgehende Umkehrung innerhalb der Wissenschaft erwarten. Bei dieser handelt es sich, auf die Gefahr hin, von Gegnern als „Umkehr der Wissenschaft" verrufen zu werden, um nichts