Kapp: Zur neuen Weltanschauung.
Geringeres denn nm eine Regeneration der Wissenschaft, sollte auch die Zeit bis zu allgemeinerer Anerkennung, wie in jenem Falle, über Jahrzehnte hinaus sich erstrecken.
Das unausbleibliche Resultat einer solchen Anerkennung wird unbedingt der Sturz der mechanischen Weltanschauung sein. Eine scharfe Abgrenzung der Begriffe „Mechanisch" und „Organisch" thut daher vor Allem Noth. Jenes ist das absolut Leblose, dieses das absolut Lebendige; jenes durchaus nur Machwerk der Menschenhand, dieses das Product einer die Schöpfung durchwaltenden höchsten Weisheit und Allmacht; dort haben wir ein aus Theilen zusammengestncktes Ge- räth, hier ein lebendiges Gliederganze — „Künstler, Werkzeug und plastischen Stoff zumal." Wächst und entwickelt sich der Organismus vou iuneu heraus, so erfährt dagegen das mechanische Fabricat nur Besserung vou außen und bezieht seine bewegenden Kräfte vom Willen des Cou- structeurs. Wie kann da noch ferner vom „Organismus einer Uhr", vom „Mechanismus des organischen Lebens", von „organisch-mechanischer Weltentwickelung" und vom „Mechanismus des Denkpro- cesses" gesprochen werden? Indem die Sprache sich dazu unter einem bestechenden Aufwand an logischer Schärfe hergwbt, verleugnet sie gerade das, was sie selbst auch ist, den lebendigen Geist, seine Fortdauer und die idealen Ziele, welche ohne jenen realen Grund eines aus Weltharmonie angelegten unorganischen Stoffes undenkbar sind.
Freilich schwankt auch der Begriff des Un- oder Anorganischen. Der Mensch sträubt sich, die ungeheuren Massen der Weltkörper auf dieselbe Lebenslinie mit sich und seiner, der sinnlichen Auffassung zugänglichen, organischen Umgebung zu stellen. Bald ist ihm der Planet ein Lebloses, bald wird er mit E. Reyer ein- werstanden sein, wenn derselbe am Schluß seiner Abhandlung: „Die Bewegung im Festen", sagt: „Der ganze Erdball ist durch und durch zwar fest, aber doch plastisch, folgt also den kosmischen Agen- tien. Wir müssen behaupten, daß das Wandeln und Wandern der Gestirne, das Leben und Wendern in der ganzen Erde nicht phänomenal, sondern universell ist.
Ununterbrochen gehen Umlagerungen und Wandlungen in der scheinbar so todten Erde vor sich; endloses Wachsen und Sterben beherrscht die Gesteine. Da schrumpfen und sinken sie, dort schwellen sie an, und es stauen sich die Gebirge zu gewaltigen Wellen. Wenig bemerken wir dies Aendern der Erde, weil unser Auge zu schwach und unser Leben zu kurz ist. Könnten wir aber die Ereignisse eines Jahrhunderts in einem Augenblick übersehen, dann, glaube ich, müßte uns wohl grauen vor dem gewaltigen Leben in der alten Erde."
Unserer Sinnesbeschasfenheit und den kosmischen Raum- und Zeitverhältnissen, wofür ausreichende Maßstäbe fehlen, uns anbequemend, drücken wir den Unterschied zwischen dem Menschen nebst dem Pflanzlichen und thierischen Kleinleben um ihn her einerseits und dem kosmischen Großleben seines Trägers andererseits so aus, daß wir jenes mit Empfindung, Willen und Geist begabte, erforschbare Reich im eminenten Sinne das organische, dieses, von dessen inneren Vorgängen wir mehr ahnen als wissen, das kosmorganische nennen.
Die physikalischen und chemischen Kräfte, die infolge der Umsetzung des Organischen in den unorganischen Stoffen auftauchten und vermöge welcher, wie oben bemerkt, die jetzigen Körper ans einander wirken, verbieten es, die Erde für eine todte Masse zu halten. Denn nur das ist man befugt, als todt zu bezeichnen, was der Mensch aus dem Verband des Ganzen zu technischen Zwecken abgelöst hat oder, als bereits abgelöst vorfindend, sich aneignet, um es zu gestalten und zu verarbeiten.
Die so von der Menschenhand aus todtem Stoff hergestellten Geräthe können einzig nnd allein Mechanismen heißen. Es ist zwar verständlich, daß der Mensch die ihm geläufige Bekanntschaft mit den ihm naheliegenden Werkzeugen — auch Maschinen und Apparate sind nur zusammengesetzte Werkzeuge — wie auch die ihnen anhaftende Terminologie aus sprachlichem Nothbehelf zur Verdeutlichung organischer Formen und Beziehungen bildweise benutzt; doch ist es nothwendig, um dem Mißbrauch, der in einer Art von Koketterie mit dem Wort „mechanisch"