Liierarische Mittheilungen.
Das Jubiläum deutscher Uebersetzungsknnst.
omer's Odyssee. Von Johann
Heinrich Voß. Abdruck der ersten Ausgabe vom Jahre 1781. Mit einer Einleitung von Michael Bern« hs. (Stuttgart,
Verlag der I. G. Cotta'sthen Buchhandlung.» Mit Recht begehen Prof. Bernahs und die
Cotta'sche Buchhandlung die Jubelfeier des Erscheinens der Voß'schen Odyssee, denn sic war das erste maßgebende Werk auf dem Felde der llebcrsctzungskunst, durch welche seit hundert Jahren unsere eigene Nationalliteratur in gewisser Hinsicht zur Weltliteratur geworden; bei keinem anderen Volke alter und neuer Zeit finden wir ein ähnliches Bestreben und Gelingen, die Dichtungen der anderen Nationen so treu nicht bloß ihrem Inhalte
nach, sondern auch in der originalen Form nachzubilden. Manche harte Zumuthung ist dabei allerdings der deutschen Sprache gemacht worden, und indem dann gar manche unserer Dichter selbst sich der fremden Formen bedienten, erhielt unsere Literatur ein etwas buntscheckiges Ansehen; im großen Ganzen aber gewann die Sprache an Tonreichthum und Geschmeidigkeit, und manche fremde Weise hat sich völlig bei uns eingebürgert, indem sie im deutschen Genius wiedergcboren ward. Wer möchte den Hexameter und das Distichon missen, oder wer Klopstock's und Hölderlin's Oden sammt den Ghasclen Platcn's und Rückert's? Meisterhaftes, in welchem Form und Inhalt einander entsprechen, ist ja darin geboten. Denken wir aber nicht bloß an die vielen trefflichen Uebcr- sctzungeu aus dem Griechischen und Lateinischen, sondern an den Shakespeare Schlegel's, den Cervantes Tieck's, den Tasso und Caldcron von Gries, den Firdusi von Schack, den Byron von Gildemeistcr, die indischen Sagen von Holzmann, Rückert's Saknntala, Hamasa und Hariri und so manche kleinere köstliche Gabe
von Freiligrath, Gcibel, Heyse und Anderen, so kann man wohl Ausländern den Rath geben, Deutsch zu lernen, um nicht bloß Goethe und Schiller, sondern auch die Classikcr des Orients und Occidents in ihrer Eigenart verstehen und genießen zu können. Die Voß'sche Odyssee hatte cs zuerst vermocht, das Original weder knechtisch nachzuformen, noch zu travestiren, sondern die Treue für dasselbe mit der Treue für die deutsche Sprache zu verbinden und den Ton desselben bei uns heimisch zu machen. Voß selbst ward in späteren Ausgaben nicht bloß in Bezug auf das Metrische strenger, er suchte sich dem Griechischen auch in der Wortstellung so eng anzuschlicßcn, daß dadurch vollständige Verrenkungen der uns natürlichen Construction herbeigcführt und schwerfällig Gekünsteltes statt natürlicher Anmuth hervor- gcbracht wurde. Unsere poetische Sprache hat seit Klopstock unschätzbaren Gewinn durch den Einfluß der Antike auf die freiere Fügung der Worte erlangt; aber Ucbertreibungen hat sie sich nicht aufdrängcn lassen, wie sie etwa der Vers Ilias 10, 15 enthält:
Viel alsdann aus dem Haupt mit den Wurzeln
raust er sich Haare.
Was hilft cs uns, daß da Wort für Wort das Deutsche unter das Griechische gestellt werden kann, es ist eine umgekehrte Tapete aus dem letzteren geworden. So haben denn nicht bloß Goethe und Schiller die Voß'schen Arbeiten, seine eigenen Idyllen wie seine Uebcr- setzungen, in der ersten behaglicheren Form lesen mögen, sondern es ward auch die Odyssee mehrfach in ihrer ersten Fassung wieder abgedruckt, wie in der Ausgabe, die Abraham Voß 1837 und 1843 veranstaltete, und in dem herrlichen Prachtwerkc mit den Preller'schen Landschaften und figürlichen Compositionen (Leipzig, Alphons Durr's VerlagL Die neue, von Bernays besorgte Ausgabe schließt sich auch im Druck und