Issue 
(1881) 300
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Jllnstrirte Deutsche Monatshefte.

ganz wacker mitstrich. Seine Gewandt­heit machte Fortschritte, und die für seine Jahre überraschende Virtuosität wurde von den Mitgliedern des Orchesters her­ausgefordert, wenn sie ihnen gleich mehr zur Belustigung diente, da es ihm an ge­diegener Grundlage noch fehlte. Dennoch bezog er, obgleich noch der Schule ange­hörig, bald ein bestimmtes Spielhonorar, und ihm stand cs fest, daß er auf seine Geige seinen Lebensberus zu gründen habe. So befestigte sich sein Charakter, seine Selbständigkeit früh, und nicht gering war seine Genugthuung, durch seinen Er­werb der Mutter schon einige Sorgen ab­nehmen zu können. Ganz anders verhielt es sich mit seiner Schwester Jngeborg oder Inga, wie sie gewöhnlich genannt wurde. Sie wuchs zu einer ungewöhn­lichen Schönheit heran, wenn dieselbe auch weniger in der Regelmäßigkeit der Züge bestand. Während Rolf unverkenn­bar die der Mutter wiedergab, traten bei dem Mädchen mehr die nordischen Züge des Vaters hervor, aber vereinigt mit dem Typus des Landes, in welchem sie geboren war. Diese Vermischung hatte etwas Ueberraschendes und gab ihrem Gesicht den Ausdruck des Räthselhaften, jedenfalls Ungewöhnlichen. Man rieth der Mutter, Inga für die Bühne zu er­ziehen. Wenn sie selbst schon ihre Tochter sehr ungern in einer solchen Lebensbahn gesehen hätte, so war zu ihrer Beruhi­gung das Mädchen nicht dafür zu ge­winnen. Auch hatte sich bei Inga niemals etwas von Begabung dafür gezeigt. Allein in anderer Weise erwuchs der Mutter manche Sorge um die Zukunft der Tochter. Denn sie zeigte nach keiner Richtung eine Fähigkeit, einst durch sich selbst ihr Leben fördern zu können. Sie erschien als eine zwar liebenswürdige, aber hülflose Natur, unbedingt auf eine fremde Stütze angewiesen. Um so mehr erschrak die Mutter, bei diesem sanften,

weichmüthigen Wesen zuweilen Zügen, Anschauungen, plötzlichen Regungen zu begegnen, welche sie geradezu abenteuer­lich nennen mußte; Zügen, die durch eine Mahnung, ein Wort des Tadels sich, gleichsam über sich selbst erschreckt, wieder bargen. In solchen Augenblicken sah Inga aus ihren dunklen Augen die Mut­ter oder den Bruder wie rathlos an, als hoffte sie von ihnen eine Belehrung über ihr eigenes Innere zu empfangen; oder wenn der Bruder sie auch wohl auslachte, schüttelte sie den Kopf, als wäre sie mit verwundert über ihre Thorheit. Sie lebte still zu Hause, hatte für sich keinen Ver­kehr, that jede Arbeit, die ihr auferlegt wurde, mit Pflichttreue, wenn auch nicht stets, wie die Mutter seufzend be­kennen mußte, mit ebenso viel Geschick. Aber mit ganzer Liebe hing sie an den Ihrigen, ja mit einer Leidenschaftlichkeit, welche die Mutter oft etwas zu dämpfen versuchen mußte. Das Leben der Mut­ter welkte früh dahin. Sie war nur wenige Jahre über vierzig, als sie den Keim des nahen Todes fühlte. Da ent­schloß sie sich, um ihrer Tochter willeu alte Beziehungen wieder anzuknüpfen. Einer Jugendfreundin, der Frau Volkmar, welche sie auch während ihrer ersteil Ehe zuweilen in der Oberförsterei besucht hatte, setzte sie ein Bekenntniß ihrer Lebensschicksale ans und empfahl ihr ihre Kinder, ja sie wagte es, nicht ohne Ge­fühl der Schuld und Reue, im Falle der Noth sogar die Großmuth des Freiherru von Troll für ihre Hinterbliebenen anzu­rufen. Sie fügte hinzu, daß Rolf und Inga von einer ersten Ehe ihrer Mutter nichts wüßten und weder über Personen noch über Verhältnisse, die damit in Be­ziehung ständen, nur im geringsten unter­richtet wären.

Herr von Troll schritt unter dem Ein­druck der Nachrichten des Briefes eine Weile im Saale auf und nieder. Dann,