667
Roquette: I
möge denken, daß seine Mutter es ihm auf die Reise gebe, steckte er es lächelnd und gerührt ein und küßte seiner Gönnerin dankbar die Hand. Der Abschied der Geschwister, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben trennten, war bewegt und auf beiden Seiten nicht ohne Thränen. Inga gerieth sogar in eine leidenschaftlich heftige Stimmung, in welcher der Bruder Noth hatte, sie zu beruhigen. Er versprach bald und häufig Nachricht zu geben. Herr Volkmar aber sagte, es sei selbstverständlich, daß Rolf seine nächsten Ferien in der Oberförsterei zubringen dürfe.
Es ist nachzuholen, daß Herr von Schellborn sich wirklich am Tage nach seinem ersten Besuche wieder in Eisenthal einstellte und ein Gespräch mit dem Oberförster über die neuen Gäste des Hauses einleitete. Die Aufschlüsse, welche er erhielt — soweit er sie erhalten durfte —, setzten ihn in Verlegenheit. Denn er mußte erkennen, daß man im Hause über dieselben besser unterrichtet war als er selbst und daß er den jungen Leuten durch falsche Vermuthung bitteres Unrecht gethan hatte. Dieses wünschte er so bald als möglich gut zu machen, und da er diesmal Gelegenheit hatte, Konradine und an ihrer Seite Inga zu begrüßen, betrug er sich gegen die letztere mit bevorzugender Artigkeit. Ihr war er ein Fremder, und die häufigen Wendungen im Gespräch an sie setzten sie eher in Verlegenheit, als daß sie eine Genug- thnung darüber empfunden hätte. Paul wünschte mehr zu thun, um das junge Mädchen zu Ehren zu bringen. Er ritt auf das Gut des Grafen Spach, um auch in der Nachbarschaft die überraschende Mittheilung zu machen und auf eine etwaige Begegnung mit dem jungen Mädchen vorznbereiten.
Nun war es im September, an einem schönen sonnigen Morgen, da die Laub
ige, Svcndson.
Wipfel zwischen den dunklen Tannen nur erst leise sich zu bräunen aufingeu und die Waldwiesen, vom Bache durchschlängelt, noch im saftigen Grün standen. Herbstblumen und verspätete Sommer- blüthen gab es immer noch auf den Halden und in den Lichtungen. Durch eine derselben schritten Konradine und Inga, welche ihr verschossenes Reisekleidcheu jetzt auch mit einem hübscheren vertauscht hatte. Die erstere sammelte einen mächtigen Strauß, wobei die Freundin ihr half, wie sie seit ihrem Aufenthalt in, Forsthause schon einigemal gethan hatte. Reichten die Blumen nicht mehr aus, so mußten purpurne Eichenschößlinge oder Zweige mit farbigen Beeren ihre Stelle vertreten. Konradine kannte alle Pflanzen und nannte sie bei ihren botanischen Namen. Und wenn sie dann die Freundin um dies und jenes bat, was gerade von ihr erreichbar war, und lateinische Bezeichnungen dabei brauchte, dann sah Inga sie groß und rathlos an und glaubte Wunder zu vernehmen. Sie suchte jede Belehrung zu erfassen, hätte alle die Namen gern im Gedächtniß behalten mögen, aber es stimmte sie wehmüthig, daß sich nichts davon festhalten ließ, sondern wie im Nebel vor ihr zerfloß. Endlich hatten die Mädchen den Hügel erreicht, wo von dem Aussichtspunkte der ganze Waldgrund, die Oberförsterei in der Mitte, sich überschauen ließ. Sie nahmen auf der Bank Platz, und Konradine legte den Strauß vor sich auf den Tisch. Dann deutete sie nach einem Einschnitt zwischen den Hügeln, von wo sich die Straße aus der Ferne in das Thal hereinzog, und sprach mit Freude aus, daß man von hier aus diesen ganzen Weg bis zu ihrem väterlichen Hause übersehen und einen daherkommenden Wagen mit den Augen verfolgen könne. Inga seufzte und begann: „Sie sind so glücklich! So gut gegen mich! Sie wissen so viel! Kennen