Noqucttc: Inga Svendson.
und größeren Gehäuse zu bewundern und über den immer neuen Inhalt der Schubfächer zu Konradinens Genugthuung manchen Ausruf der Ueberraschung zu thun. „Diese Sammlung stammt aus Roderich's Schulzeit," sagte die Erklärerin; „jetzt legt er kein großes Gewicht mehr darauf. Das sei nur, sagt er, die bunte Schale des Naturproductes, das Gewand oder die Wohnung des Geschöpfes. Dieses selbst aber sei die Hauptsache und das Interessantere. Aber daß doch leider die Hauptsache wieder so entsetzlich häßlich sein muß! Da oben steht in Weingeist anfbewahrt eine Reihe dieser Schalenbewohner, eigentlich nur aus einem Freß- werkzeug und einigen Gedärmen bestehend - mir ein schrecklicher Anblick! Wir wollen sie nicht erst betrachten." Dafür öffnete sie einen anderen Schrank, um die Freundin einen Blick in die Schmetterlingssammlung thun zu lassen. Während die Mädchen darüber gebeugt standen, um das Farbenspiel der kleinsten Motte zu betrachten, welche sich ans dem Würmchen im Apfel entwickelt, trat die Mutter ein, mit einem offenen Briefe in der Hand.
„Von Roderich?" rief die Tochter ihr entgegen. „Meldet er seine Ankunft?"
„Merkwürdig!" entgegnete die Mutter. „Er verschiebt die Heimkehr nochmals, sogar auf ungewisse Zeit. Unerwartet günstige Gelegenheit zu neuen Studien biete sich ihm in Berlin dar. Er wisse nicht, ob er Zeit finden werde, vor seiner Habilitation überhaupt nach Hause zu kommen und nachher erst gar —!"
Konradine griff nach dem Briefe, der zwar an die Mutter gerichtet war, dessen Inhalt gleichwohl der Familie gehörte, und las ihn mit enttäuschten! und betrübtem Gesicht. „Gar nicht?" sagte sie, ihn zusammenfaltend. „Nicht im Sommer, nicht im Herbst, und wer weiß, ob im Winter? Er kam doch sonst so gern, und
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wär's nur auf ein paar Tage gewesen, nach Hause! Und ich habe es ihm so dringend gemacht — bisher brauchte ich das nicht einmal! Habe ihm auch von unseren Gästen geschrieben, von meiner Freundin Inga — ach! die abscheulichen Gelegenheiten für immer neue Studien!"
„Laß nur!" entgegnete die Mutter lächelnd. „Er soll schon kommen! Ich selber will es und werde es ihm meinerseits dringend machen. Noch heute schreibe ich ihm, und ich weiß ja, daß er nicht leicht widerstrebt, wenn ich etwas ernstlich wünsche."
Konradine seufzte, und die Sammlungen wurden heute nicht weiter gemustert. Der Raum aber, darin sie aufbewahrt waren, übte auf Inga eine große Anziehung, und vielleicht war es das Phantastische der Anordnung, wodurch sie sich besonders angezogen fühlte. Auch gab es Veranlassung genug, ihn zu betreten. Wurden in den nächsten Tagen vorerst neue Blumensträuße nicht ausgestellt, so ließ Konradine es sich nicht nehmen, die Gewächse selbst zu tränken und zu pflegen, eine Beschäftigung, zu der sie die Freundin stets einlud. Es kam auch zur Sprache, daß Roderich mit dem Griffel sehr gewandt sei und von frühauf sich geübt habe, die Gegenstände der Natur im Bilde festzuhalten. Ganze Mappen voll Zeichnungen kamen zum Vorschein und wurden von den Mädchen durchblättert. Sogar zur Wiedergabe menschlicher Züge sei sein Talent ganz merkwürdig, so erzählte Konradine; er habe die Brustbilder des Vaters, der Mutter und das ihrige oft gezeichnet und immer sprechend getroffen. Sie suchte danach, die Mappe oder das Zeichenbuch ließ sich aber nicht finden, und Konradine verhehlte ihre Freude nicht, daß er diese Sammlung mitgenommen habe. Und wenn das glückliche Mädchen so immer neue Vorzüge Roderich's an das Licht zog, mußte Inga sich im