Heft 
(1881) 300
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Jllnstrirte Deutsche Monatshefte.

sich trafen oder wenn er sie freundlich anredete. Schien er auch ganz unbefangen, so lag doch etwas Ueberlegenes in seinem Wesen. Er war der Aeltere und wußte viel von der Natur und ihren Geheim­nissen zu erzählen, dem das Mädchen wie einer Offenbarung lauschte. Als sie endlich ein Nachtquartier aufsuchten, hielt Klingstein in demselben Wirthshause Ein­kehr, und Rolf hielt es schon für selbst­verständlich, daß sie den Abend beisammen blieben. Hier entwickelte er dem neuen Kameraden das Vorhaben für die nächsten Tage, und Klingstein gestand, daß er dieselben Wege zu gehen habe oder auch sich zu der gleichen Wanderung einrichten könne, wenn nämlich die junge Dame gegen seinen ferneren Anschluß nichts ein­wenden wolle! Der Bruder nahm der Schwester, welche lächelnd ein wenig erröthete, die Antwort von den Lippen weg und erklärte, daß ihnen nichts Er­wünschteres kommen könne! Hatte nun Rolf die Reifeanordnung ohne Kenntuiß und Anweisung, ziemlich aufs Gerathe- wohl gedacht, so kam durch den neuen Freund jetzt eigentlich erst Plan in die Wanderungen. Er war unterrichtet über Berge, Thäler, Wege, Ortschaften und besondere Schönheiten der Gegend, und so vertrauten sich die Geschwister getrost seiner Tageseintheilung und seiner Füh­rung an. Jeden Morgen rückten die Ge­fährten früh aus, in den Hellen Frühlings­tag hinein; durch Wälder und Wiesen, durch Dörfer, wo die Kinder Blumen pflückten und spielten, zu luftigen Höhen mit Aussichtspunkten in die weite, schöne Welt. Sie hörten das Mühlenradin einem kühlen Grunde" und freuten sich, zu Nacht in der Mühle einkehren zu kön­nen, Rolf war begeistert für den neuen Freund. Klingstein's Augen hingen mit Entzücken an dem jungen Mädchen; aber Inga schien in diesen Tagen erst aufzu­blühen, und ein erwachendes Herzensleben

leuchtete halb schüchtern, halb beseligt durch ihre Züge. Aber kein Wort kam über des Freundes Lippen, das über den Ton der guten und herzlichen Kamerad­schaft gegangen wäre oder eine beabsich­tigte innere Annäherung verrathen hätte. Zuweilen glaubte Inga wahrzunehmen, daß er mitten in der Freude Plötzlich ernst, fast betrübt wurde, sich abwende und sich zwang, ein Gespräch über Pflanzen, Steine und Thiere zu beginnen. Aber der Frohsinn kam wieder. Keiner schien fragen zu wollen, wann und wo dies Glück der Wanderschaft enden werde. Es endete wie alles Schöne, das, Gemüth und Auge berückend, uns umgaukelt und die Seele in holdes Traumwandeln fesselt es endete diesmal durch einen Blick, welchen Rolf in die Reisekasse that. Sie war aufgebraucht wenigstens der für die Vergnügungsreise gesetzte Ueberschuß und die Geschwister mußten sich entschließen, am nächsten Tage ihrem Ziel geradeswegs entgegenzufahren. Diese Entdeckung wurde gemacht in einem Wirthshause, in der Nähe einer kleinen Stadt, in welchem die Wanderer sich vor einem aufziehenden Gewitter geborgen hatten. Die Nothwen- digkeit des Scheidens stimmte alle Drei ernst und schweigsam. Da entdeckte Rolf eine Geige hinter einem Schranke hängen. Er, der seit einer Woche den Bogen nicht geführt hatte, sprang darauf zu, stimmte die Violine, und obgleich er sie für ein elendes Instrument erklärte, begann er geläufig und sicher darauf zu spielen. Klingstein machte große Augen vor dieser unerwarteten Kunstfertigkeit, aber die Auf­merksamkeit der drei Freunde wurde plötz­lich auf ein Schauspiel gelenkt, welches für die Betrachtenden mehr des Lächer­lichen bot als für die Mitwirkenden. Eine Gesellschaft aus der Stadt war auf ihrer Waldpartie von deni Gewitter und Regen überfallen worden und stürmte nun, in verworrene Flucht ausgelöst, durch