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den Garten, um das Haus zu erreichen. Kinder, lachend und schreiend, voran; junge Männer, ihre Höflichkeit vergeblich gegen die Damen aufbietend; sonst bedächtige Männer im wenig kleidsamen Carrierelans; etwas corpulente Mütter, welche nicht so leicht mit konnten, von rüstigen Armen förmlich dahergeschleppt; so flüchteten etwa dreißig Personen unter nicht geringem Lärm unter das schützende Dach. Die drei Reisenden sahen von einem Fenster des oberen Stockwerkes diesem Treiben lachend zu, in dem behaglichen Gefühle, längst im Trockenen zu sitzen. Ans ihrem Zimmer ging eine Thür nach der Galerie des Tanzsaales, in welchem die Gesellschaft sich gesammelt hatte. Rolf konnte sich nicht versagen, das Treiben der Verregneten von oben zu betrachten und den beiden Anderen seine Bemerkungen znrück- zubringen. Gleich darauf nahm er wieder die Geige zur Hand. — Währenddem kam die Jugend im Saale zu der Ansicht, daß es ansprechender wäre, die nassen Kleider im Tanzen zu trocknen, und zwei junge Herren begaben sich hinauf, um den Geiger zu fragen, ob er ihnen znm Tanz aufspielen wolle? Die beiden Anderen — mit einer Verbeugung vor Inga und Klingstein wurde es gesagt — sollten der Gesellschaft ein angenehmer Zuwachs sein. Die beiden Letzten lehnten ab, Rolf aber willigte ein, von der Galerie ans ein Stück zn versuchen. Es geschah, und bald darauf wirbelte unten Alt und Jung durch einander. Da begann Klingstein: „Tragen Sie jetzt ein ordentliches Musikstück vor, damit die Leute hören, mit wem sie es zu thnn haben." Der junge Violinist war schnell bei der Hand und ließ alle seine Kunststücke unter dem Bogen hervorsprudeln. Man zollte lebhaften Beifall, und bald darauf erschien ein Herr bei den Reisegefährten, der sich anerkennend über die Leistung aussprach. „Können
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Sie mehr auswendig?" fragte er. Rolf bejahte es und spielte noch ein ziemlich umständliches Capriccio. Der Herr stellte sich nun als Capellmeister N. und Dirigent der Curcapelle in Ems vor, ließ sich in ein Gespräch mit Rolf ein und rückte endlich mit dem Vorschläge heraus, ihn für die Dauer der Saison „versuchsweise" nach Ems zn engagiren. Rolf war sehr beglückt darüber. Die Aussicht, sich so schnell und in so günstiger Weise etwas erwerben zu können, erschien ihm unabweisbar, und so sagte er mit Freuden zu, wenn damit auch das ursprüngliche Reiseziel um einige Monate verspätet würde. „Auch mich freut es," entgegnete der Capellmeister. „Nur aber muß ich Sie bitten, morgen mit dem Frühesten bereit zu sein und mit mir zugleich abzufahren, denn ich bin nur auf einen Tag znm Besuch hier und muß morgen schon in Ems dirigiren." Auch dies wurde von Rolf ohne Bedenken zugestanden. — Als Inga davon erfuhr, sah sie ihren Bruder vorwurfsvoll an und war mit seinem raschen Entschlüsse nicht einverstanden. Sie wendete ein, daß es besser, ja noth- wendig gewesen wäre, die Reise gerades- wegs nach Eisenthal fortzusetzen. Bei Anhörung dieses Ortsnamens sah Klingstein sie betroffen an. „Wo — wohin geht Ihre Reise?" fragte er. — „Nach Eisenthal, zum Oberförster Volkmar," entgegnete sie wiederholend. „Wir kennen noch Niemand dort, aber das Ziel ist uns vorgeschrieben." Der Freund blickte mit fragendem Ausdruck auf die jungen Leute, unfähig, den Zusammenhang zu begreifen, und diese waren auch nicht in der Lage, ihn darüber aufzuklären, da sie nur wußten, daß sie eine Jugendfreundin der verstorbenen Mutter zu besuchen hätten. Klingstein suchte seine Ueberraschung und die ernste Stimmung, welche ihn ergriffen hatte, zu verhehlen. — Der Regen hatte mit der Abenddämmerung aufgehört, und
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