Heft 
(1881) 300
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Noquette: Inga Svendson.

verrathen durfte; es wäre Undank gegen das gastliche Haus, sich ihm in räthsel- hafter Weise zu entziehen, das Vertrauen, das man in sie setzte, zu täuschen. Sie mußte bleiben, abwarten und über sich er­gehen lassen, was nicht abzuwenden war. So sann sie hin und her, rastlos, angst­voll, von peinlichen Empfindungen bewegt, zwischen welche sich zuweilen der Gedanke an das Wiedersehen wie ein Lichtstrahl drängen wollte. Die Hausgenossen ließen ihrer einsamen inneren Arbeit lange Zeit. Sie mochten annehmen, daß sie an ihren Bruder schreibe, wie sie häufig that, und wollten sie nicht dabei stören. Es war bereits dunkel im Gemache, in ihr selbst aber schien es Heller zu werden.

Der Augenblick eines ernsten Ent­schlusses ist für den Menschen oft der erste Schritt zu einer sich rasch vollziehenden inneren Reife. Stellten sich der Ausfüh­rung auch Schwierigkeiten entgegen, ja, wäre er, so wie er gefaßt wurde, nicht einmal ausführbar, so giebt er doch dem Dasein eine neue Festigkeit, und es hat für sich etwas gewonnen, mehr gewonnen, als schwankende Regungen zwischen Glück und Qual jemals heransbilden können. Inga hatte sich Fassung errungen. Das Gefühl einer heiligen Pflicht gegen die guten Menschen, welche sich ihrer ange­nommen, trat niit ganzem Ernst in ihr auf. Sie durfte sich nicht verrathen, sie durfte endlich gar nichts mehr zu ver­rathen haben; sie mußte entsagen, wie sie es ja auch bisher gemußt hatte; sie mußte sich wasfnen gegen sich selbst, und sie wollte es können. Sie ging noch weiter. Es wurde ihr klar, daß sie der Familie zu bekennen habe, wie sie Roderich bereits einmal begegnet sei und eine kleine freund­schaftliche Beziehung zwischen ihnen schon bestanden habe. Aber da sie es nicht bei dem ersten Anblick seines Bildes gethan hatte, mußte eine schickliche Wendung da­für noch gefunden werden, und sie hoffte

sie zu finden. So fühlte sich Inga endlich gefaßt genug, den Hausgenossen wieder zu begegnen, und ungerufen verließ sie ihr Gemach, da die Stunde kam, in der man sich zum Abendessen zu versammeln pflegte.

Die Hausfrau blickte sie verwundert an, es kam ihr vor, als wäre mit ihrem Pflegekind plötzlich eine vortheilhafte Ver­änderung vorgegangen. Sie nickte ihr freundlich zu. Inga aber eilte ans sie zu, küßte sie und sagte:Bleiben Sie mir gut, Mama!" Denn zu dieser Anrede hatte man sie im Hanse schon berechtigt.

Als man nach Tische um die Lampe saß, der Hausherr bei der Zeitung, be­gann Inga:Darf ich wohl das Bild Roderich's noch einmal betrachten? Ich konnte zuvor nur einen flüchtigen Blick darauf werfen." Sie wollte der Familie ihr Bekenntniß thun und zugleich ihre Fassungskraft prüfen. Konradine holte es gern herbei. Inga richtete die Blicke fest auf das Bild, und obgleich ihr Herz heftig pochte, bezwang sie sich und sagte: Ja, es ist richtig! Diesem jungen Herrn bin ich schon einmal begegnet. Ich er­kannte ihn gleich wieder, zumal ich den Namen Klingstein hörte, mochte aber in Gegenwart des Herrn von Schellborn nicht reden." Und nun erzählte sie von ihrer ersten Bekanntschaft, von ihren ge­meinsamen Wanderungen, alles Thatsäch- liche, bis zu der Stunde, da Rolf sich für die Capelle in Ems gewinnen ließ. Die Familie war angenehm überrascht, Kon­radine klatschte in die Hände, die Mutter aber sagte:Warum hat er uns nur

davon kein Wort geschrieben?" Man verweilte lange bei dieser Geschichte; die Erzählerin aber fühlte sich im Innersten erleichtert durch ihre Aufrichtigkeit, die noch dazu so gut und unbedenklich aus­genommen wurde.

Tags darauf traf zur Freude des Hau­ses eine kurze Anzeige von Roderich ein,