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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
Trotzdem fühlte sie sich durch das Schicksal derselben ergriffen und aufgeregt. „Aber wie ist das?" rief sie dann; „Papa war bei Ihnen — das hat doch einen Zusammenhang!?"
„Volkmar wünschte sich mit ihm zu unterreden und schrieb ihm; der Freiherr kam dem Besuche meines Mannes zuvor. Der Brief der Verstorbenen enthält einen directen Hinweis auf Herrn von Troll."
„Und hat Papa sich zu irgend etwas verstanden?"
„Ueberlaffen wir das der Zeit und der ferneren Entwickelung. Vorläufig ist meine Pflegebefohlene, denke ich, bei uns gut ausgehoben."
„Ohne Zweifel! Aber Sie dürfen die Last doch nicht behalten! Ich will mit meinem Manne sprechen —"
In diesem Augenblick wurde die Thür geöffnet, und Inga, mit einer sauberen weißen Schürze wirthschastlich angethan, trat herein. Nicht wissend, daß Besuch gekommen, wollte sie über ein Geschäft in der Haushaltung bei der Mutter ansragen. Beim Anblick der fremden Dame erschrak sie und wollte sich znrückziehen, aber die Gräfin hatte sie schon erblickt und flüsterte: „Stellen Sie uns einander vor, ganz förmlich."
So machte Frau Volkmar denn die Vorstellung ganz förmlich: „Fräulein Inga Svendson, unser lieber Gast — Frau Gräfin Spach."
Zum zweiten Mal sahen Beide sich Auge in Auge, die Gräfin noch prüfender als damals in Ems in den Zügen des Mädchens forschend. Inga wußte sich nicht zu erinnern, wo sie das Gesicht dieser Frau schon gesehen habe, und dennoch kam es ihr bekannt vor. Um sie reden zu machen, fragte die Mutter nach ihrem Anliegen, denn daß sie mit einem solchen komme, beweise doch wohl die weiße Schürze? Inga entgegnete lächelnd, daß nur ihre große Unkenntniß wirthschaft-
licher Dinge sie mit einer Frage hertreibe, einer Frage, die sie auch wohl noch aufschieben könne. Nur wenige Worte wurden noch gewechselt, dann bat Inga, ihr begonnenes Geschäft fortsetzen zu dürfen, und zog sich zurück.
„Sie hat Anstand, weiß sich zu betragen. Sie ist in der That eine Schönheit!" sagte die Gräfin. Sie hatte zwar bereits vernommen, daß Inga und ihr Bruder nichts von der früheren Ehe ihrer Mutter wußten, demnach auch von einer Beziehung zu ihr selbst nichts ahnen konnten. Dennoch überkam sie eine plötzliche Furcht. Wer konnte dafür stehen, daß Inga es nicht dennoch erführe? „Oder können Sie so bestimmt wissen," fuhr sie im Gespräch fort, „daß das Mädchen nicht dennoch im Stillen von Allem unterrichtet ist? Daß sie am Ende gar Ansprüche darauf gründet? Daß sie nur bis zu einem gelegenen Momente schweigt —? Nein, es ist unmöglich, eine Annäherung herbeiznführen. Mehrere Personen aus unserer Gegend und Nachbarschaft haben sie in ihrer früheren Lage in Ems gesehen, haben das Gerede gehört, das über sie ging. Dergleichen pflegt unvergessen zu bleiben, selbst wenn es als Unrecht eingesehen worden ist. Es wäre schrecklich, wenn jetzt uralte Familiengeschichten, vermengt mit neuen, wieder auftauchten und der Gesellschaft einen willkommenen Stoff zum Gespräche-darböten!"
„Sie regen sich durch eine grundlose Furcht, um ein Nichts auf, liebe Auguste," entgegnete die Oberförsterin. Sie brauchte die vertrauliche Anrede zuweilen gegenüber der jüngeren Frau, die sie von Kindheit auf kannte. „Für Jnga's Charakter glaube ich bürgen zu können. Da ist nichts von Hinterhalt, von geheimen Plänen, von Ansprüchen. Ja selbst erführe Inga das, was Sie erschreckt, das Mädchen würde sich dadurch nicht gehoben, sondern noch mehr erschreckt, ja schmerzlich berührt