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Roquettc: I
fühlen, denn das Bild ihrer Mutter würde ihr dadurch getrübt werden, welches zu dem Heiligsten gehört, was ihre Erinnerung bewahrt. Es soll ihr rein bewahrt bleiben! Sie aber, liebe Auguste, denken doch zu sehr an die kleinen Unzuträglich- keiteu, die Ihnen selbst durch eine Entdeckung erwachsen könnten. Könnten, sage ich; denn ich hatte Grund, Ihnen die Entdeckung zu machen, die Sie ja wohl bewahren werden, und ich habe ebenso viel Grund, Inga davor zu behüten. Wünschen Sie die Ruhe Ihres Lebens ungestört, so handelt es sich daneben um ein anderes Dasein, in welchem noch nicht viel Glück gewesen sein mag, welches mir aber des Glückes und der Fürsorge Werth genug zu sein scheint."
Die Gräfin schwieg einige Augenblicke. Dann sagte sie: „Die Strafrede, die Sie mir gehalten, habe ich wohl verstanden, und — ich will sie beherzigen, da sie von Ihnen kommt! Ob ich danach handeln kann —? Ich will es überlegen. Ich werde mit meinem Manne sprechen. Max muß es wissen! Er hat meist ganz verständige Ansichten — so dumm er auch sonst ist." Damit lenkte sie in den leichteren Ton wieder ein, mit dem sie wenigstens auf der Oberfläche zu spielen suchte, obgleich sie sich ernst genug berührt fühlte.
Tags darauf war Konradine schon früh Morgens in lebhafter Bewegung, denn um die Mittagsstunde sollte Roderich ein- treffen. Einen Strauß von wilden Blumen, wie er ihn gern mochte, konnte sie aber Wiesen und Wald nun nicht mehr abgewinnen, und was sie aus dem herbstlichen Garten an hinsiechenden Georginen, Strohblumen und dergleichen zusammengesucht, mißfiel ihr endlich selbst. Da kam ihr in der letzten Viertelstunde noch ein Einfall. Sie schnitt Tannenzweige, die sie mit rothen Ebereschen zusammenband. „Wie ein Weihnachtsbaum!" rief sie vergnügt,
ga Svendson.
als sie der Freundin den Strauß vor der Thür zeigte. Da wurde Pferdegetrapp und Rädergeräusch vernehmlich. Koura- dine sah sich um. „Da ist er schon!" rief sie. „Vater! Mutter! Heraus! Roderich kommt! Inga, bitte, stellen Sie den Strauß in sein Zimmer! Ich habe keine Zeit mehr!"
Inga ergriff den dargereichten Strauß, uud um bei der ersten Begrüßung nicht zugegen zu sein, eilte sie über die Rampe in Roderich's Museum. Sie sah, wie der Wagen vorfuhr, suchte auf dem Tische umher, fand aber weder ein Glas noch einen sonstigen Behälter für den Strauß. So legte sie ihn auf die Bücher und flog nach der anderen Thür, welche in die inneren Gemächer des Hauses führte. Sie fand sie verschlossen, den Schlüssel von außen umgedreht. So mußte sie bleiben, in der Hoffnung, durch die Glasthür zu entkommen, wenn die Familie in das Haus getreten, nicht ohne Furcht, von dem Ankommenden vorher in seinem Arbeitszimmer gefunden, gleichsam ertappt zu werden. Obgleich in die Tiefe des Saales zurückgezogen, sah sie doch durch das große Fenster, wie Roderich von den Seinen begrüßt wurde und Konradine jubelnd an seinem Halse hing. Jnga's Herz Pochte gewaltig, als sie ihn wiedersah. Sie Preßte beide Hände vor die Brust, als hoffte sie die innere Bewegung dadurch zu hemmen. Da hörte sie Kon- radinens Stimme: „Wo ist sie denn? Ich habe sie da hineingeschickt! Inga!" Gleich darauf erschien die Rufende selbst in der Thür, und Inga mußte nun doch auf dem gefürchteten Wege Roderich entgegentreten. Ihr erster Blick traf sein Gesicht. Ein plötzliches Aufleuchten wie ein Erstaunen schien über seine Züge zu fliegen, um schnell wieder einem ruhigen Ausdruck zu weichen. Die Begrüßung wurde eine sehr förmliche. Konradine aber rief: „Ihr seid ja alte Bekannte,