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so gebt euch doch die Hände! Inga hat uns Alles erzählt!" Roderich sah Inga mit einem Blick der Ueberraschung an, als habe er solche Mittheilungen von ihrer Seite nicht erwartet. Da er aber ihr eingestehendes Lächeln sah, reichte er ihr die Hand zum freundschaftlichen Gruße.
Am Mittagstische, zu welchem man sich bald nach dem Empfange niederließ, machte sich Inga mehr mit der Bedienung zu thnn als nöthig oder ihr aufgetragen war. Sie brauchte Beschäftigung, wollte vor Allem ihre Augen abgelenkt wissen; ihr Gehör konnte sie freilich nicht verschließen vor eineni wohlklingenden Organ, welches seinen früheren Zauber über sie wieder geltend machte. Die Mutter meinte im Stillen, Roderich sei ernster geworden, und fand, daß ihm das sehr wohl stehe. Gleichwohl war er nicht zurückhaltend oder trübe. Er erzählte viel aus der Hauptstadt, aber fast nur von seinen Studien und Bestrebungen, von Gelehrten, die er bewunderte oder denen er inzwischen näher getreten. Kannte man in der Familie ihre Persönlichkeiten nicht, so glaubte man sie doch schon zu kennen und nahm Antheil, da Roderich seit Jahren so viel von ihnen erzählt hatte, sie verehrte und sich ihres Umgangs freute. Aber er fragte auch theilnehmend nach den kleinen Ereignissen und Dingen des Hauses: Ob der Franz, ein einstiger Hos- gespiele von ihm und setzt Waldhüter, schon geheirathet? Ob die neue Tannensaatschule gut gekommen sei? Und so bis zu dem braunen Füllen und Konradinens türkischen Enten.
Nach der Tafel, die man heute etwas länger hinausgezogen hatte, nahm der Oberförster sein Gewehr, da er im Walde mit seinen Forstbeamten zu verhandeln hatte, und fragte Roderich, ob er mit wolle? „Wir gehen Alle mit!" rief Konradine. Man war einverstanden; nur die Mutter zog vor, zu Hause zu bleiben.
che Monatshefte.
— Noch bot der Tag ein paar schöne Nachmittagsstunden, in welchen die Sonne den Wipfeln des herbstlich gefärbten Laubholzes eine prächtige Buntheit verlieh, augenfälliger noch durch den Gegensatz der dunklen Tannenhügel. Inga hielt sich an der Seite des Oberförsters, der ihr immer gern Auskunft gab auf ihre Fragen über Waldwuchs und Forstwirth- schaft. Konradine folgte mit Roderich, oder sie schritten auch voran oder schlossen sich den beiden Anderen an. Es schien ihnen nicht um das Alleinsein zu thnn zu sein, sie gingen auch nicht Arm in Arm, sie betrugen sich nicht, wie sonst wohl Verlobte oder gar Verliebte pflegen. Bald ging Roderich neben Inga her. „Da schreiten wir wieder einmal gemeinsam durch den Wald, wie wir es einst zu Dreien thaten!" begann er. „Denken Sie gern an jene Tage zurück?"
„Fragen Sie die Ihrigen," entgegnete sie, „ob ich nicht mit Vergnügen davon erzählt habe! Nicht wahr, Herr Oberförster?"
Roderich sprach den Wunsch aus, Rolf auf ein paar Tage nach Eisenthal kommen zu lassen. „Wünschen Sie es nicht auch?" fragte er, zu Inga gewendet.
„Ihn Wiedersehen würde ich gern," entgegnete sie, „und doch — wäre es jetzt
— vielleicht noch zu früh." Inga erschrak vor dem Gedanken, durch die Anwesenheit des Bruders die Erinnerung an die alte Kameradschaft mächtiger werden zu lassen.
„Sie hat ganz Recht!" rief der Oberförster bestätigend. „Er scheint eben in guter Schule und Arbeit zu sein, da soll man ihn nicht gleich wieder Herausreißen und zerstreuen. Du kannst ihn ja auf deiner Rückreise aufsuchen."
Von der frischen Luft gestärkt, kehrten die Spaziergänger in der Dämmerung heim, um sich bald bei der Mutter und um die abendliche Lampe wieder zu versammeln. Roderich hatte ausgepackt und