Heft 
(1881) 300
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684 Jllnstrirtc Deutsche Monatshefte.

neten und schönen Verhältnissen hinge­gangen. Mußte er in seiner Schulzeit und in den akademischen Jahren den größten Theil des Jahres außerhalb des Hauses zubringen, welches ihm zum Vaterhanse geworden, so gewährte es ihm in der studienfreien Mnßezeit alle Vortheile, die einem Sohn zu Theil werden können. Dieser Vortheile war er sich bewußt, und ein früh entwickeltes Pflichtgefühl und reger Trieb zum Lernen hattet: ihn schnell gefördert. Die Mittel waren ihm nicht eben schmal gemessen, und es erregte die Verwunderung derer, die dieselben kannten, daß er sie vorwiegend für seine Studien und Sammlungen verwendete, für sich selbst aber fast bedürfnißlos blieb. Gleich­wohl konnte ihn Niemand einen Verein­samten oder Ueberstndirten nennen, er hatte stets für einer: fröhlichen Burschen gegolten. Sein Verhältniß zu der Heran­wachsenden Konradine war voir dieser selbst richtig gefaßt und der Freundin ausgesprochen worden. Daß sie einander nicht häufig sehen und bei jedem seiner Besuche die jungen Leute neue Beobach­tungen der Entwickelung anstellen, neue Vorzüge an einander entdecken konnten, war ihrer Zuneigung besonders günstig. Roderich liebte das junge Mädchen, das ihn auch ohne Versicherung und Gelöbniß verstand, und lebte der Ueberzeugung, daß er nie eine Andere als Konradine zu seiner Lebensgefährtin wählen werde. So einfach, Plan und selbstverständlich war bisher Alles in seinem Leben gewesen, bis er im letzten Frühjahr auf der Fußwande­rung dem jungen Musikanten und seiner Schwester begegnete. In dem Wahne, sein Herz unbedingt gesichert zu wissen, ließ er den Zauber der Anmuth und Schönheit über sich walten und freute sich, den stillen Werth des Mädchens zu erkennen. Aber der Zauber wurde mäch­tiger, er fühlte sich hingerissen, und in seinem Gemüthe begann ein ernstes Ringen

zwischen Pflicht und leidenschaftlicher Hin­gabe. Er fühlte, daß er sich losreißen müsse, und die Nachricht, daß seine Reise­gefährten seine eigene Heimath als Ziel­punkt vor Augen hatten, so unerklärlich ihm die Kunde war, brachte seinen Vor­satz schnell zur Ausführung. Er wollte das Mädchen nicht Wiedersehen, am wenig­sten in Konradinens Nähe, er wollte sein väterliches Haus meiden, so lange Inga darin verweilte. Daß der Entschluß nicht durchzuführen war, erwies sich bald. Er mochte mit der Heimkehr zögern und zögern, er durfte nicht ganz ansbleiben. Die Ausflüchte waren endlich verbraucht, ein Brief der Mutter traf sein Herz, wenn die Schreiberin auch ahnungslos blieb über das, was in ihm vorging. Das letzte war nicht einzugestehen, und so mußte es niedergernngen werden. Es galt, die Gefahr gar nicht mehr als solche anzuer­kennen, einem Wiedersehen mit bestimmtem Willen zu begegnen. Er tadelte sich, zu solchem Entschlüsse nicht früher gelangt zu sein, und machte sich auf den Weg. Je mehr er sich dem heimischen Thale näherte, desto mehr begannen die Empfindungen doch wieder zu schwanken zwischen pflicht­widriger Freude und schweren Vorwürfen. Aber als er die Eltern und Konradine wieder erblickte, da kam ein altes Gefühl der Zufriedenheit und Freude wieder über ihn, und er fühlte sich innerlich gesichert. Wenige Minuten darauf trat Inga vor seine Augen. Er sah eine Wandlung mit ihr vorgegangen, die ihn erstaunen machte. Vor einem halben Jahre hatte er sie als eine gedrückte Natur kennen gelernt, über deren Schönheit ein demüthig melancholi­scher Schatten lag, aus welcher jugendliche Freude nur verstohlen hervorblitzte, um sich verschüchtert wieder zu bergen. Jetzt stand sie in gereifter schöner Gestalt vor ihm, in Haltung und Bewegung ruhig und gefaßt, ja, wie ihm vorkam, auch körperlich gewachsen und entwickelt. Der