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Illnslrirte Deutsche Monatshefte.
ihr Betragen und endlich — oder vor Allem --- ihr Herz richten.
„Bedeckter Himmel!" sagte der Oberförster am anderen Morgen, als er, sich zum Frühmahl niederlassend, nach dem Fenster blickte. „Es wird Regen geben, und wir werden das Laub bald fliegen sehen, das sich diesmal so lange an den Zweigen gehalten hat." Die graue Wolkenschicht hing über dem Thal, regungslos, aber es fiel nicht feucht, und nach der nächtlichen Kühle war die Morgenluft wasserdunstig und fast schwül geworden. „Roderich führt, wie es scheint, sein Stadtleben fort, der Langschläfer!" bemerkte der Hausherr weiter. „Keineswegs!" entgegnete die Mutter. „Ich sah ihn schon früh das Haus verlassen und in den Wald gehen. Er scheint eher den Genuß heimischen Landlebens recht auskosten zu wollen." Inga hätte die Aussage der Hausfrau bestätigen können, denn auch sie hatte ihn ausgehen sehen. Aber sie hatte auch seinen lange suchenden Blick zu den Fenstern hinaus wahrgenommen. Sie besorgte, auch die Mutter könnte diesen Blick ertappt haben, und so schwieg sie lieber. Freilich, sein Gruß war jedenfalls an Konradine gerichtet, aber auch so wollte Inga nichts davon gesehen haben.
„Schade," begann der Hausherr uach einer Weile, „daß meine kleine Dine — er kürzte den Namen seiner Tochter zuweilen ab — eine noch viel kleinere und etwas kritzliche Handschrift hat! Ich bin einmal wieder in Noch um einen Abschreiber. Roderich darum anzugehen, wäre eine Härte bei der Kürze seines Besuches, denn es ist ein starkes Schriftstück."
„Bitte, geben Sie es mir!" ries Inga schnell. „Sie erblickten neulich meine Schriftzüge auf einem Briefumschlag an meinen Bruder und sagten, es sei eine feste und tüchtige Handschrift. Gewähren Sie mir die Freude, Ihnen den kleinen Dienst zu leisten!"
„Liebes Kind," entgegnete der Oberförster zögernd, „das ist sehr liebenswürdig und freundlich! Aber es ist keine Kleinigkeit. Ein langer Bericht an die Regierung, viele Bogen stark — für ein junges Mädchen eine sehr langweilige Arbeit!"
„Ich bitte dennoch darum! Und die Mama — nicht wahr, sie giebt mir Urlaub dazu? Die übrigen Geschäfte sollen darunter nicht leiden!" Inga hatte rasch erkannt, daß eine solche isolirte Beschäftigung in ihren Plan paßte, Roderich möglichst wenig zu begegnen, und so drang sie mit solcher Inständigkeit darauf, daß der Oberförster endlich einwilligte. Konradine verhehlte ihre Unzufriedenheit nicht, denn sie hatte andere Pläne gehabt; der Hausherr aber begab sich mit Inga bald daraus iu seine Schreibstube, um sie über die Arbeit eingehender zu unterrichten. Nach einer Weile kehrte er noch einmal zu den Frauen zurück, erzählend, daß Inga bereits als sein Secretär beschäftigt sei, und gleich nach ihm trat Roderich ein. Er entschuldigte sein Zuspätkommen und schien guter Laune. Nach Inga, obgleich ihm ihr Fehlen am Frühstückstische schon beim Eintreten nicht entgangen war, fragte er nicht, doch erfuhr er die Ursache durch Konradine. „Schreibt sie so gut?" fragte er, um doch etwas zn sagen. Und bald daraus zu dem Oberförster gewendet, begann er: „Gehst du hent' Morgen noch in den Wald? Ich hätte Lust, dich zu begleiten und die Büchse wieder einmal zu Prokuren."
„Nein, das wäre doch aber zu arg!" rief Konradine halb lachend, halb ernstlich ungehalten. „Die Eine brennt darauf, sich in der Schreibstube festzusetzen, der Andere will sich mit seinen Freuden durch Verschwendung von Papas Schrot und Pulver im Walde vereinsamen, und nach mir fragt Niemand! Sind das angenehme Gäste, welche allein ihrer Wege