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R o q u c t t e ^
Inga
Svendson
Endlich erschien zu Mittag des dritten Tages der Oberförster, ein Actenstück unter dem Arme. „Seht!" rief er der Familie zu, „dies hat sie in der kurzen Zeit znfammengefchrieben! Und welche Sauberkeit! Welche Handschrift! Wie lesbar! Einen solchen Schreiber habe ich mir lange gewünscht!" Inga entgegnete, daß sie jederzeit bereit sei und er über sie verfügen dürfe. Konradine aber that Einspruch. „Laßt es doch jetzt wenigstens genug sein!" rief sie; „jetzt, wo Roderich bei uns ist! Er hat uns versprochen, sie zu zeichnen. Roderich, heut' noch, ja?" Roderich aber wendete ein, der Nachmittag werde sehr dunkel, das Licht sei wenig geeignet. „Nun, dann morgen früh, aber bestimmt!" sagte Konradine. „Ich werde daran festhalten, denn es ist die einzige Art, daß man einmal beisammen bleibt."
Sie hielt wirklich daran fest. Die Mutter redete zu, Roderich durfte nicht widerstreben. Er empfing die Mädchen in feinem Arbeitszimmer, und ohne große Vorbereitungen nahm er ein Blatt und den Griffel zur Hand. Konradine sorgte für die Unterhaltung. Aber nicht zehn Minuten waren verstrichen, als sie, ihre kleine Handarbeit untersuchend, fand, daß ihr das Stickgarn ansgegangen sei. Sie ging, um sich neuen Vorrath zu holen. Roderich und Inga sahen sich allein, und eine Bangigkeit kam über Beide. Sollte er etwas sagen? Und was? Sollte er den Moment ohne eine Frage, ohne ein Wort vorübergehen lassen? Noch hielt er die Blicke fest auf sein Blatt gerichtet; er gab sich den Anschein, zu zeichnen, aber seine Hand strichelte in der Aufregung nur auf dem Papier umher. Da hob er die Augen auf und blickte Inga voll und durchdringend an. Eine dunkle Röthe überzog ihr Gesicht, sie zuckte zusammen und schlug die Augen nieder. Er hatte den Griffel mit beiden Händen krampfhaft gefaßt und zerbrach ihn. Da ließ
sich eine trällernde Stimme auf dem Gange hören. Beide fühlten sich wie ertappt; sie hatten kein Wort gewechselt, aber in einem Blick und einem Erröthen hatten sie einander verstanden. Dennoch athmeten sie auf, als Konradine wieder eintrat.
Roderich zerriß das bekritzelte Blatt und nahm ein neues. „Nur nicht zu viel verwerfen!" rief Konradine. „Es war ja nicht schlecht angelegt!" Die Sitzung verlief nun ruhiger. Endlich legte Roderich den Griffel bei Seite, und die Zeichnung betrachtend, sagte er: „Es ist nichts! Aber die Stümperei mag eben fertig sein!" — „Sprechend ähnlich!" rief Konradine. „Ausgezeichnet! Roderich, du hast dein Meisterstück gemacht! Inga, das Blatt nehmen wir mit! Komm zur Mutter!"
Roderich's Eifersucht war dahin. Er glaubte in Jnga's Herz gesehen zu haben. Aber durfte es ihm zur Freude gereichen, daß sie ihn liebte? Konradine gaukelte glücklich zwischen Beiden hin, arglos, mit vertrauensvollem Gemüth — waren sie nicht Beide mit ihren Gedanken gegen das gute Mädchen treulos, verrätherisch, im Innersten schuldig? So dachte Roderich und hätte gern gewußt, ob Inga ebenso dächte.
In der That hatte sie die gleichen Empfindungen und Gedanken, nur noch schärfer und vorwurfsvoller, gegen sich selbst gerichtet. Daß er sie liebte, war ihr klar geworden, mit innerstem Aufschrei des Jubels, mit Entsetzen, mit Selbstanklage gegen ihr eigenes stummes Geständniß, wenn es sich auch nur in einem Erröthen kund gegeben. Daß sie sich von ihm entfernt halten, jede Regung vor ihm fortan verbergen, jede Annäherung vermeiden müsse, erschien ihr als Nothwendigkeit. Aber wie schwierig war das in einem Hause, wo die Familie, der sie sich nicht entziehen konnte, so einig zusammenlebte;
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Monatshefte, N. 3v0. - Septeuwev 1681 . - Bierle Folge, Bd. VI. 36.