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Waldrande entlang einen wunderlichen Zug vorübergehen. Es mußten Zigeuner sein. Aber sie hatten im Aussehen weder etwas Malerisches oder Buntes. Wilde, bärtige Gesellen, Weiber mit ungekämmtem Haar und wüsten braunen Gesichtern, starrend von Schmutz, und Kinder in Lumpen. Aus einem Maulthier saß eine Alte von abschreckender Häßlichkeit, während die Habe der Bande auf einem Esel fortgeführt wurde. Ein halbwüchsiger Bursche führte sogar einen unansehnlichen kleinen Bären am Stricke. — Inga hatte einen derartigen Auszug noch nicht gesehen, und um einen näheren Anblick zu gewinnen, trat sie ein Paar Schritte aus dem Hosthor ins Freie. Da sprang von der Seite ein Weib, welches hier schon eine Weile herumgestrichen sein mochte, auf sie zu und bettelte sie in gebrochenem Deutsch an. Sie zuckte zurück vor der Nähe des braunen Geschöpfes, welches trotz der demüthigen Miene roh und entschlossen genug aussah. Aber schon hatte das Weib Jnga's Hand erfaßt oder vielmehr ihr Handgelenk mit einer Art von schwarzen Geierkrallen gepackt, um ihr zu wahrsagen und dadurch eher etlvas von ihr zu erlangen. Umsonst suchte sich Inga losznwinden; sie wollte nicht um Hülfe rufen, in der Hoffnung, sich von der unsauberen Berührung selbst zu befreien. Das Weib aber hielt fest, so fest, daß Inga vor Schmerz die Zähne auf einander preßte, und begann seine Prophezeiung aus den Linien der Hand: Viel Geld, ein schöner Mann, wie sich von selbst verstand, es sei aber noch etwas dazwischen, und so fort. Inga versuchte, um das Gefasel abzubrechen, noch einmal, sich loszuwinden, da erscholl eine Donnerstimme hinter ihnen, welche das Weib verscheuchte und ihrem Zuge hastig nachtrieb. Der Oberförster rief heftige Drohungen hinter ihr her und wendete sich zu Inga in rauherer Weise, als er sonst
pflegte, mit den Worten: „Und Sie konnten auch etwas Besseres thuu, als sich auf solchen Unsinn eiulassen!" Dann ries er einen Knecht herbei und gab ihm den Auftrag, den Waldhütern einzuschärsen, daß sie ans das Gesindel ein wachsames Auge behielten, es aus dem Walde ans- triebeu, wo sie es fänden.
Inga bat gedemüthigt, ihr nicht zu zürnen, und gestand, wie sie zu der Begegnung gekommen sei. Dem Oberförster that es leid, sie so barsch angefahren zu haben. „Mein armer Secretär!" sagte er begütigend. „Zeigen Sie doch Ihre Hand! O Weh, wie sieht sie ans! Ins Wasser damit! Wir bleiben gute Freunde!" Sie sah ihn zufrieden lächelnd an und eilte ins Haus.
So vergingen die Tage. Jeder der Hausgenossen war in seiner Art beschäftigt. Man sah einander fast nur noch bei den gemeinsamen Mahlzeiten, wo sich Jeder so wacker als möglich zu beherrschen suchte. Wer den Familienkreis so beisammen sah, hätte nicht leicht geargwöhnt, daß unter der freundlichen Außenseite Leidenschaften, Schmerzen und Sorgen arbeiteten, die nur mühsam bezwungen wurden.
Der Oberförster hatte Inga nochmals um eine, diesmal nicht so umfangreiche Abschrift gebeten. Bereit dazu, trat sie in seine Stube, wo er selbst eben bei der Arbeit saß, während draußen ein paar Leute der zu empfangenden Aufträge warteten. „Lassen wir es bis morgen, liebes Kind!" rief er ihr zu. „Aber, da Sie doch einmal da sind — geben Sie Roderich dieses Buch! Ich nahm es mir neulich aus seinem Arbeitszimmer mit und vergaß, es zurückzugeben. Er vermißt es. Tragen Sie es ihm hinüber!"
Diese Vermittelung zu übernehmen, ! war ihr nicht willkommen, doch wußte sie auch keine rechte Ablehnung dafür, , und so eutgeguete sie: „Roderich ist aus-