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Pferde, vorauf fuhr der Bote mit den zur Hülfe bereiten Knechten. Auch zu Roderich war die Schreckensnachricht gelangt. Schnell ließ auch er für sich satteln und sprengte dem Zuge nach an die Seite des Oberförsters.
Inzwischen hatte die Hausfrau zu thnn, das erschreckte Hauspersonal zu beruhigen und in Ordnung zu halten. Denn für ein im Walde abgeschlossenes Gehöft sind die von Bäumen bestandenen Hügel die nächsten Nachbarn, und das feindliche Element, das verzehrend in ihren Wipfeln haust, droht gierig zu den Dächern und gefüllten Vorrathskammern hinüber. Weiß auch der Kundige, daß des brennenden Waldes Flamme selten wie ans den Dächern zum Himmel steigt, so kennt er den wie eine züngelnde Schlange am Boden schleichenden Feind als nicht minder gefährlich. Eisenthal selbst konnte kaum etwas zu befahren haben, umgeben von felsigen Anstiegen und Wiesengrund. Aber für den Land- und Waldbewohner hat die Baumwelt eine höhere Bedeutung, als der Städter ihr meist beilegt; ist man nicht ausgewachsen mit ihr, so hat man sich mit ihr eingelebt in ein Verhältnis; der Zusammengehörigkeit, das zu einer Art von Familiengefühl werden kann. Bricht hier Zerstörung ein, so ist neben dem Schaden der Verlust dem Lebenden unersetzlich. Der Mensch zwar baut auf dem verheerten Grunde feine Wände und sein Dach schnell wieder auf; langsamer aber, obgleich unerschöpflich im Hervorbringen, schafft die Natur. Was dem lebenden Geschlecht in ihr verloren ging, sieht oft die zweite, ja die dritte Generation erst wieder ersetzt. — Die Ober- sörsterin war nicht ängstlich, aber in ernster Stimmung, denn sie empfand, wie sehr ihr Gatte, wie sehr auch wohl die Nachbarn bei dem gemeldeten Unglück äußerlich und innerlich betheiligt waren.
Da kam Kouradine eilig die Treppe
chc Monatshefte.
herab mit der besorgten Frage: „Wo ist Inga?"
„Nicht in ihrem Zimmer?" gab die Mutter zurück.
„Nein! Nicht in ihrem, nicht in meinem Zimmer und nicht in den Wohn- räumen. Ich war in des Vaters, ich drang bis in Roderich's Stube! Ich suchte, ich rief! Inga ist nicht zu finden!"
„Nur ruhig, liebes Kind! Laß uns doch noch einmal Nachsehen!" Mutter und Tochter durchsuchten vergeblich das Haus, und vergeblich suchte und fragte inan in den Wirthschaftsräumen im Hofe umher. Niemand hatte sie gesehen, Niemand wußte von ihr. Eine ängstliche Stunde verstrich, und zu der Bangigkeit, die schon die Gemüther erfüllte, gesellte sich die Sorge um das verschwundene Mädchen. Wo war Inga?
Weit weg vom Hause war sie; wider ihren Willen weit hinweggeführt und ver irrt auf nächtlichen Pfaden.
Um es zu erklären, muß sie in dem Augenblick noch einmal aufgesucht werden, da sie sich aus Roderich's Armen gerissen und in ihrem Gemach abgeschlossen hatte. Das Gefühl des Glückes war schnell in ihr gewichen, um dem des begangenen Unrechts überwältigend Platz zu machen. Als unsühnbar erschien ihr die Schuld, und ein Gefühl der Schmach überkam sie bei dem Gedanken, daß die Schuld sich hinter dem Rücken Konradinens, geheim vor der Familie, wiederholen könnte; daß sie ihrer Kraft zu viel vertraut hatte. Das Letzte däuchte ihr bald das Schlimmste. Darum mußte sie aus dem Hause, durfte sie Roderich nicht wieder begegnen. Zn ihrem Bruder zu gehen, erschien ihr jetzt, nachdem sie vom Leben doch schon ein wenig mehr kennen gelernt hatte, nicht mehr thunlich. Aber es gab ja Stellungen in der Welt, deren eine sie auch bei geringen Fähigkeiten ausfüllen könnte. Um also aus der Gefahr und aus dem