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Noqncttc: Inga Svendson.
Hause zu kommen, gab es, so dachte sie, nur ein Mittel, nämlich ein ehrliches Be- kenntuiß gegen die Hausfrau und die Bitte, ihr zum Abschied behülslich zu sein. Nichts wollte sie ihr verschweigen, auch nicht ihre Schwachheit und Furcht vor sich selbst; auch nicht, daß sie Roderich zwar entsagen, aber niemals aushören könne, ihn zu lieben. Wenn sie so spräche, würde der Mutter ihre Entfernung aus dem Hause willkommen sein, sie würde sie vielleicht sogar in Güte entlassen. — Mit diesem Entschluß ging sie hinunter. Da sah sie am Ende des Ganges die Thür des Zimmers offen, worin die großen Schränke standen, welche den lange vermehrten und stattlichen Vorrath von Linnen nnd Wäsche verwahrten. Auf breitem Tische und in Körben lag das Gut in schimmernder Weiße aufgeschichtet, während die Mutter nnd Konradine mit Hülfe einer Magd es in die Schränke einzählten und ordneten. Die Mutter von dieser Thätigkeit abzurufen, zögerte Inga, wohl wissend, daß das Unterbrechen eines solchen Geschäftes bei jeder Hausfrau eine gewisse Mißstimmung hervorzubringen pflegt. Sie würde auch wohl mit einem Später! entlassen oder gar bei der Arbeit mit angestellt worden sein, was ihr in dem augenblicklichen Zustande der Aufregung unmöglich erschien. Mochte man lieber des Glaubens bleiben, daß sie mit einer Abschreiberei beschäftigt sei. So schlich sie in ihr Gemach zurück. Da sah sie vom Fenster aus den Oberförster selbst durch den Hof und dem Walde zu schreiten. Schnell änderte sie ihren Plan. Sie wollte ihm nach, in den Wald; sie hatte zu dem Manne ein unbegrenztes Vertrauen; draußen in Gottes freier Natur, allein mit ihm, wollte sie ihm ihr Bekenntniß thun. Denn es brannte ihr auf der Seele; sie wollte Tadel, Verwerfung, Hülfe empfangen, und bald, bald! — Aber war es denn auch der
Oberförster, den sie dort schreiten sah? Sie blickte schärfer hin. Er wendete sich — er war es nicht, sondern einer von den Förstern, welchen sie noch kürzlich bei ihm gesehen. Die Tracht nur und eine gewisse Aehnlichkeit der Gestalt hatten sie getäuscht. Sie wußte ja, der Hausherr saß in seinem Zimmer und zwar bei besonders dringender Arbeit. Auch er war jetzt für sie nicht zu sprechen. — Und nun malte sie sich die Stunde aus, da die Familie sich um die Lampe versammeln würde. Wie sollte sie den Eltern, wie Konradine in die Augen sehen? Wie ihren Mitschuldigen noch anschauen? Sie, die das Vertrauen, die Pflicht so schwer verletzt hatte! Sollte sie ihnen mit verbrecherischem Schweigen, mit heuchlerischer Fassung begegnen? Nein, es war ihr unmöglich! Von rastloser Furcht fühlte sie sich mehr und mehr ergriffen, und so stand ihr plötzlich ein Entschluß fest, der das Unglücklichste war, was sie hätte aus- sinnen können. Aber es war auch nicht eigentlich ausgesonnen, es war plötzlich da, und weil es das Einzige schien, was in diesem Augenblick ihr Gewissen beruhigen konnte, so erschien es ihr auch schon als Nothwendigkeit. Sie wollte entfliehen, und zwar zu ihrem Bruder! Bei ihm hoffte sie Sammlung zu finden, um fernere Pläne für sich zu verfolgen. Aber man sollte im Hause auch nicht in Zweifel über ihr Ziel sein. Sie schrieb mit hastiger Hand einige Zeilen, um sie der Mutter zurückzulassen. Aber dann fiel ihr ein, daß, wenn der Zettel vorzeitig abgegeben oder gefunden würde, man ihre Flucht vereiteln, daß man sie einholen, sie zurückführen könnte. Um dem vorzubeugen, däuchte ihr besser, den Brief bis zum Haltepunkte der Eisenbahn bei sich zu behalten und dort erst kurz vor ihrer Abfahrt einem Boten zur Bestellung zuch'lbergeben. Es war nur eine halbe Stunde bis dahin — wenn sie