Heft 
(1881) 300
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Fttustrirte Deutsch? Monatshefte.

und leise ins Leben zu locken, aber sie gab kein Zeichen des Erwachens. Da, in fürchterlicher Angst, hob er sie nochmals auf die Arme und trug sie fort, dahin, wo er Viele beisammen fand. Paul Schellborn war es, der das Unbegreifliche zuerst erblickte, dann kam Graf Spach, endlich der Oberförster Volkmar. Die Männer, nicht im Stande, sich den Zu­sammenhang zu erklären, standen im ersten Augenblick rathlos. Sie waren Alle zu Pferde gekommen, der Wirthschaftswagen ans Eisenthal stand so entfernt man wußte nicht wo, denn man war auf dem Gebiete des Grafen Spach, wo sich schließlich alle Kräfte vereinigt hatten, da bei ihm die Gefahr am größten gewesen. Das Thunlichste war, aus dem nur eine Viertelstunde entfernten gräflichen Herren­hause einen Wagen für Inga kommen zu lassen. Der Bote wurde abgefertigt. Aber es verging eine für Roderich end­lose Zeit. Da war in der kalten Nacht­luft keine wärmende Hülle für die Ohn­mächtige als sein eigener Rock, den er für sie abgestreist hatte. Und sie lag, als wollte sie niemals wieder erwachen. Als endlich der Wagen kam und Inga hinein­gehoben worden war, stieg mit Roderich auch der Graf ein, da seine Gegenwart zu Hause augenblicklich nöthiger war als im Walde.

Das Erstaunen der Gräfin über den nächtlichen Besuch braucht nicht geschildert zu werden. Aber Auguste war jetzt schnell zur Hülfe bereit und mit ihren weiblichen Dienstboten bei der Hand, das bewußtlose Mädchen unter ihre Obhut zu nehmen und durch Stärkungsmittel zu beleben. Ter Graf und Roderich, von diesen Be­mühungen ausgeschlossen, schritten schwei­gend durch den Saal; der erste doch vor­wiegend mit dem durch den Brand erlittenen Schaden beschäftigt, der andere nur von der Sorge um das geliebte Mädchen gepeinigt. Nach einer Weile

erschienen auch Volkmar und Schellborn. Die Gefahr war beseitigt, nur die Wächter hatte man an den Gräben zurückgelassen. Die Stimmung der Männer konnte nicht anders als ernst sein, sie hatten alle, wenn auch nicht gleichmäßig, Verlust durch den Brand gehabt, und die Frage, wie das junge Mädchen zu solcher Stunde in den Wald gekommen und durch Rauch und Flammen gedrungen, beschäftigte die Ge- müther. Mußte man die Vermnthungen beschränken und auf die Erklärung vorerst verzichten, so ward die Sorge um den Zustand der Verunglückten doch von Allen getheilt.

Der Bediente bot den Herren Thee, kalte Küche und Wein dar, welches nicht abgelehnt wurde, da alle auf die erste Nachricht von dem Brande nur fortge­stürzt waren, ohne an eine Abendkost zu denken. Währenddem trat die Gräfin ans den Frauengemächern. Sie brachte leid­liche Nachricht. Inga war aus ihrer Ohnmacht erwacht und hatte etwas Stärkendes zu sich genommen. Ueber Brandwunden hatte sie nicht zu klagen, nur ihre Gewänder waren übel zugerich­tet. Nicht Schmerzen fühlte sie, nur die äußerste Ermattung und nervöse Abspan­nung, so daß ihr die Sprache so gut wie versagte. Volkmar fragte, ob sie im Stande sein werde, jetzt schon nach Hause znrück- znkehren? Er müsse nun eilen und die Seinigen daheim beruhigen. Auguste aber wünschte die Kranke in ihrer Pflege zu behalten, ja sie sprach es mit einer ge­wissen Eifersucht ans und schloß mit den Worten:Laßt sie mir! Sie gehört zu mir! Sie ist die Tochter meiner Mutter, sie ist meine Schwester! Ich habe das Recht und die Pflicht, sie für mich zu be­gehren!" War Volkmar nur überrascht, daß die Gräfin ihr Geheimuiß plötzlich rückhaltlos preisgab, so geriethen die beiden jüngeren Männer, Roderich und Paul, in ein nicht geringes Erstaunen über