Heft 
(1881) 300
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Roq nette: Inga Svendson.

Geschäfte und mußte mit seinem Inneren zurecht zu kommen suchen. Uebler dran war Roderich darin, daß ihm kein Antheil an der Thätigkeit eingeräumt werden konnte, weder von den Frauen in der Krankenstube noch in den Forstangelegen­heiten des Vaters, und ihm so die Ge- nngthuung der Pflichterfüllung entging. Trotzdem sagte er sich, nachdem der erste Sturm vorübergegangen war, daß er nicht gebeugter erscheinen dürfe als die klebrigen. Wenn in diesen kummervollen Tagen die Familie auf eine Stunde bei­sammen war, lag auch eine Wolke über ihrer Stimmung, und das Schweigen war ein beredteres Gespräch als die gesprochene Rede; aber es war nicht das Schweigen des Besürchtens und Beobachtens mehr. Jeder kannte den Kummer und den stillen Antheil des Anderen, und ein Blick der Theilnahme und des Vertrauens genügte zu der Voraussetzung, daß Jeder sich durch Alles, was noch bevorstehe, tapfer durcharbeiten wolle.

Der Arzt wendete vergeblich alle seine Kunst an, dem Zustande der Kranken bei­zukommen. Sie lag wie in einem Schein­tod, aber sie athmete. Es war nicht wie tiefster Schlaf, sondern wie Erstarrung, welche die Lebende in unlösbarem Banne hielt. Die stärksten Mittel wurden an­gewendet, um sie zu erwecken, keines er­wies sich kräftig genug. Der Arzt wurde gegen die immer fragende und drängende Familie fast unwirsch, um seine eigene rathlose Ungeduld zu verbergen.

Die Gräfin Spach hatte einen täglichen Botendienst zwischen ihrem Gute und der Oberförsterei eingerichtet. Da die Mel­dungen nach einigen Tagen immer noch dieselben unbefriedigenden waren, erschien sie selbst wiederum, um sich Nachricht zu holen. Roderich wollte ihr in seiner be­drängten Stimmung nicht begegnen und ging hinunter in sein Zimmer, als er ihren Wagen Vorfahren sah.

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Aber das einsame Umherschreiten im geschlossenen Raume erschien ihm bald un­erträglich, und obgleich die Luft grau, nebelfeucht und kalt war, öffnete er die Glasthür und trat auf die Rampe. Da sah er auf dem breiten Wege eine Gestalt hastig herbeifchreiten, in welcher er im nächsten Augenblicke Rolf erkannte. Der Jüngling trug eine Reisetasche in der Hand und seinen Violinkasten, von dem er sich niemals zu trennen schien, unter dem Arme.

Man hatte mit Absicht unterlassen, Rolf Nachricht von der Krankheit seiner Schwester zu geben. Hoffte man doch von Tag zu Tage auf eine Aenderung ihres Zustandes, die doch wohl eine Besse­rung in sich schließen durfte. Aber was die Familie zu verbergen suchte, das ver­kündeten bereits die öffentlichen Blätter. Die Nachricht von dem verheerenden Wald­brande war schon Tags darauf in die Provinzialzeitnng gekommen und pflanzte sich schnell fort. Und da viele Personen aus der Umgegend in jener Nacht Augen­zeugen der Ereignisse gewesen, wußten die Zeitungen auch bald zu erzählen, daß eine junge Dame ans dem Hause des Ober­försters dabei in entsetzlicher Weise zu Schaden gekommen sei. Ein solches Blatt kam unter die Augen Rolfs, und von Schauder ergriffen, die schmerzlichste Ge­wißheit ahnend, packte er hastig fast seine ganze Habe zusammen, als könnte es auch für ihn keine Rückkehr geben, und reiste ab. Da er auf dem Haltepunkte der Bahn keinen Wagen fand, machte er sich zu Fuß auf den Weg, kaum daran denkend, daß das Mitschleppen seiner Besitzthümer ihm sehr beschwerlich fallen würde.

Roderich eilte ihm entgegen, beruhigte den Erschöpften, der mit jetzt erst hervor­stürzenden Thränen die Kunde empfing, daß Inga lebe und unverletzt sei, und nahm ihn vorerst in sein Zimmer auf. ^ Rolf, in der Hauptsache beruhigt, suchte

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Monatsheft e, I,. SV». September 1881. Vierte Folge, Bd. VI. 36.