Inga Svcndson.
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Roquette:
Sie erwachte, während er weiter spielte, und blickte ihn anfathmend mit ruhigen Augen an. „Ach, Rolf!" begann sie matt und leise. „Ich war so müde! Haben wir heute noch weit zu wandern?"
Der Bruder ließ sich vor ihrem Lager nieder. „Inga! Liebe Inga!" rief er. „Wie fühlst du dich?"
„Ganz gut!" flüsterte sie. „Aber matt
— ich kann nicht gehen! Hab' Geduld mit mir! Ach, Rolf — was ist das? Sind wir denn nicht unter den Bäumen
— auf dem Berge?"
Die Anderen waren nun doch näher getreten, der Arzt stand an ihrer Seite, die Mutter beugte sich über sie. Da stieß Inga einen leisen Schrei des Erschreckens aus, und es schien, als ob plötzlich die Erinnerung des Entsetzlichen, was sie erlebt, mit Macht auf sie einstürmte. Aechzend sank sie zurück, und es schien, als ob eine neue Ohnmacht sie gesesselt halte. Ein Mittel, welches der Arzt jetzt schnell und mit besserem Erfolg anwendete, brachte sie zum Erwachen zurück. Roderich, der bei dem erneuten Anfall neben ihr in die Kniee gesunken war, drückte seine Lippen aus ihre Hand und rief ihren Namen. Sie sah ihn ängstlich, mit verstörten Blicken an. Da neigte sich die Mutter zu ihrem Ohr und sagte: „Er ist dein! Du darfst ihn lieben, theu- res Kind! Du wirst gesunden für ihn, für uns Alle, und du wirst immer zu uns gehören!" Inga blickte zu Konradine hinüber, welche zu Füßen des Lagers stand und die beglückenden Worte lächelnd bestätigte. „O Mutter! Mutter!" stammelte sie leise, indem sie ihr Gesicht in der Hand der Hausfrau barg und abwendete.
Ein Wink des Arztes trieb jetzt die klebrigen aus dem Zimmer. Auguste, zwiefach überrascht durch den erlebten Auftritt — denn auch von dem stillen Verhältnis; der Liebenden hatte sie eben
erst erfahren —, fragte nach Roderich, ! um ihm ihre Glückwünsche anszusprechen. j Der aber war zum Vater geeilt, um ihm die Kunde von Jnga's Erwachen zu bringen. Im Herzen der Gräfin aber lebte ein geheimer Zug zum Romantischen, der sich jetzt schön und unanfechtbar angeregt fühlte und aussprechen wollte. Der hübsche Bursche, der hier als Arzt eine so eigenartige Cur glücklich vollbracht hatte, gefiel ihr ausnehmend, und so, ohne sich mit der Familie zu berathen, folgte sie dem Drange des Herzens, indem sie Rolf ihre Hand darreichte und ihn ihren Bruder nannte. Der gute Knabe hörte die kurze Erklärung, welche Auguste ihm gab, staunend und halb ungläubig au und wunderte sich, in Konradinens Gesicht eine Bestätigung des Gehörten zu lesen. Die freudige Erregung der Gräfin konnte er nicht sogleich theilen, aber er war doch höflich genug, seine Lippen auf die von ihr dargereichte Hand zu drücken mit den Worten: „Ich will es als ein Glück betrachten, vorausgesetzt, daß ich meine Geige nicht aus der Hand zu legen und meiner Kunst nicht untreu zu werden brauche." Die Mutter kam mit dem Arzte, welcher die beste Nachricht über Inga brachte; gleich darauf erschienen auch der Oberförster und Roderich. Die Versammelten erlebten nach dem Drucke trüber Tage wieder einen Augenblick, in welchem neue Lebenshoffnungen sie für Kummer und Aengste entschädigten.
Diese Hoffnungen gingen der schönsten Erfüllung entgegen. War man im Winter auch gründlich eingeschneit, so tummelte sich in der Oberförsterei doch fröhliches Leben, denn im Hause lebten zwei junge Bräute, beide in ungetrübter Gesundheit blühend. Während Roderich in der Ferne Beruf und Stellung gefunden und nun für sich und Inga die Stätte bereitete, hatte Paul von feinem Gute aus auch durch den Schnee täglich den Weg nach