Heft 
(1881) 300
Einzelbild herunterladen

782

Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

warum eigentlich die englische Gartenkunst in unserem Jahrhundert die Gartenkunst der Franzosen und die steifen Hecken oder Alleen Ludwig's XIV. ebenso verdrängt hat, wie die englischen Verfassungsgrundsätzc immer mehr an die Stelle jener abstracten Principien tre­ten, welche von der französischen Revolution verkündet wurden. Wie die politische Freiheit des englischen Parlamentarismus innerhalb eines zur Lebensgcwohnheit befestigten Gesetzes- zustandes wurzelt, so bedeutet auch die eng­lische Gartenkunst die Anerkennung der schöpfe­rischen Freiheit innerhalb der Natur, die durch die Menschenhand nur veredelt und entwickelt, nicht beschnitten und verkümmert wird wie in jenen berühmten Vorbildern von Versailles, deren Linien und Abtheilungcn uns heute an­starren wie ein in das Botanische übersetztes Ministerialreglement.

Die Freude, welche die höchsten Schichten der englischen Aristokratie aus ihren Landsitzen, aus Parkanlagen, landwirthschaftlichen Kulturen und Blumenbeeten schöpfen, ist durch Herrn v. Omptcda begreiflich gemacht und stein Vcr- ständnist der deutschen Leser näher gebracht.

AlsNachtstücke" in seinem Buche erschei­nen die für Socialpolitiker höchst werthvollen Schilderungen der Trinkkrankheit in England, gegen die mit seltenster Thatkraft, aber mit verhültnißmäßig geringen Erfolgen die Mäßig­keitsvereine ankämpfen, von denen einsichtige

Beurtheiler jedenfalls mehr erwarten als von Strafgcsctzparagraphen, trotz welchen sich die Trunkcnheitsfälle in England während der letz­ten Jahre nur gemehrt haben.

Die von Herrn v. Ompteda mit großer Sorgfalt gesammeltenMaterialien" der Trun- kenhcitsgcsctzgcbung sollten von denjenigen nicht unbeachtet gelassen werden, denen es obliegt, an der Lösung gleichartiger Probleme in Deutschland mitzuarbeiten.

Sehr anmuthig sind die Beschreibungen, die der Verfasser vom Oxfordcr Studentenlcben entwirft. Ist die wissenschaftliche Leistungs­fähigkeit der Lehrenden, wie Engländer selbst zugeben, auf Deutschlands Hochschulen eine verglcichnngswcise viel höhere, so wird unter denjenigen, die Herrn v. Ompteda's Buch lesen, wohl Mancher bedauern, daß die Uni­versität den Lernenden in Deutschland nicht jene Lebensfrischc und Lebenskraft bieten kann, die Oxford der Jugend in England ver­bürgt.

Der politischen Bildung leistet das höchst empfehlenswcrthc Buch, dessen Inhalt wir an- dcutcn, auch dadurch einen wesentlichen Dienst, daß mancherlei mißgünstigen Vornrthcilen gegen England, die zur Mode zu werden schei­nen, die Spitze abgebrochen wird, während Schattenseiten des englischen Volkslebens ebenso unparteiisch gewürdigt sind.

Franz v. Holtzcndorff.

Literarische Notizen.

Deutsche Hand- und Hauslndkiotlielr. (Stutt­gart, Verlag von W. Spemann.) Vier Bände. Eigentlich unter dem HaupttitelCollection Spemann" erscheint diese Haus- und Hand­bibliothek in der That als ein Bedürfniß auf dem deutschen Büchermarkt. Das deutsche .Buch ist wirklich ungleich thenrer als das französische oder englische. In dieser Samm­lung soll nun jedes Werk, elegant gebunden, bloß eine Mark kosten, und trotz dieses billigen Preises sollen in ihr die Meisterwerke der deutschen und aller anderen Literaturen zur Ausgabe gelangen. Der Prospekt verheißt in dieser Hinsicht geradezu bedeutende Leistungen, und die bis jetzt erschienenen vier Bände lassen uns hoffen, daß alle diese Verheißungen auch zur Erfüllung kommen werden. Der erste Band enthält zwei gediegene Erzählungen von Louise v. Francois, der zweite denOber­hof" von K. Jmmcrmann mit einer Ein­leitung von Levin Schücking, der dritte die moralischen Novellen von Cervantes in der kkebersetzung von A. Keller und Fr. Notier, der vierte endlich ein literarisches Curiosum:

den RomanDie Hallig" von I. C. Bicr- natzki mit einer oricntirenden Einleitung von Heinrich Düntzer. Unter solchen Auspicien ist der Bibliothek die thatkräftigste Förderung und die Unterstützung der deutschen Hand und des deutschen Hauses zu wünschen.

Emaucipirte Novellen. Von Johannes Proclß. (Leipzig, Verlag von Carl Meißner.) Diese Novellen fünf an der Zahl ver­dienen aus der Unzahl von Sammlungen die­ser Art, die gegenwärtig auf den Büchermarkt geworfen werden, mit Auszeichnung hervor- gehobcn zu werden. Sie sindemancipirt" von dem Zopf der herkömmlichen Langeweile und des traditionellen Novellenrecepts da­her ihr Name, nicht aber von der Sitte und der obersten Moral. Es zieht ein fröh­licher jngendfrischer Ton durch diese gut- geschricbenen novellistischen Skizzen, die ein nicht gewöhnliches Fabulirungstalent vcrrathen und sowohl in der Ausführung wie in der Erfindung fesseln und anmuthen. Den Preis werden wohldie Glcichheitsbrüder" davou- tragen.