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Literarisch
Mit dem Bleistift. Geschichten und Skizzen von Ferdinand Groß. (Leipzig, Carl Rechner.) Wenn man die nicht wegzuleugnende Thatsache des Verfalls der dramatischen Literatur in Deutschland verstehen will, so muß man als einen Hauptfactor den Umstand mit in Erwägung ziehen, daß der moderne Journalismus hauptsächlich dem Drama, aber auch allen anderen Dichtungsarten die besten Kräfte, die hervorragendsten Talente raubt, um sie in seinen aufreibenden Dienst zu ziehen. Selten noch ist uns dies so klar geworden als beim Durchlesen dieser Sammlung feuilletoni- stischer Skizzen, die alle von Geist und Witz und Wissen durchtränkt sind. Groß ist ein Feuilletonist von hoher Bedeutung; er wäre aber wohl ein gleich vorragender Dramatiker und sicher auch ein trefflicher Romanschriftsteller, wenn er es vorzöge, statt mit dem Bleistift vielmehr — mit der Feder zu schreiben. Aber freilich die Hast und Unruhe des modernen Lebens verlangt diese prickelnde, sprühende, nervöse Art der Darstellung, und man muß gestehen: Groß ist ein Meister dieser Art, und seine Skizzen vom Tage und für den Tag lassen sich auch noch später — mit Genuß zum Theil — stets aber mit Vergnügen lesen.
Novellen von B. Glogau. (Berlin, Verlag von W. Hertz.) Mit diesen Erstlingen seiner Muse hat ein junger Autor sich bereits einen guten Namen erworben. Das will bei der Ueberfluthung auf den Heeresstraßen unserer Literatur nicht wenig bedeuten und hat seinen Grund vor Allem in der durchaus originellen Weise, in der dieser Autor seine Vorwürfe anfaßt und zur Ausführung bringt. Schon die erste Novelle, „Auf der polnischen Landstraße", ist originell und interessant — das Vorbild Turgenjew's war freilich etwas zu verlockend —, nicht minder ist die Skizze „Im Exil" geistvoll und fesselnd. Die Novelle „Marga's Er- röthen" ist wiederum in der psychologischen Ausführung des Hauptcharakters so fein und richtig, daß man fast glauben könnte, es sei eine Dame, die hier ihre Freundin schildert! Die anderen Novellen sind etwas schwächer und scheinen der ersten Entwickelungsstufe dieses Autors anzugehören, von dem wir wohl noch Bedeutendes zu erwarten haben.
Sommermärchen. Von Rudolf Baumbach. (Leipzig, A. G. Liebeskind.) Der Dichter der „Lieder eines fahrenden Gesellen" erscheint hier als Märchenerzähler, und derselbe frische und humoristische Ton, der seine Gedichte durchzieht und ihnen einen so eigenartigen Reiz verleiht, ist auch in diesen entzückenden Märchen wieder anzutreffen — ein Ton, so keck und natürlich und anmuthig, wie er auf dem deutschen Parnaß lange nicht gehört worden, und dabei auch so treuherzig und sinnig,
e Notizen.
daß die Grenze von dem Kunstmärchen zu dem wahren echten Volksmärchen mit Glück überschritten ist. Es ist eine realistische Verbindung von Märchen und Novelle, welche Baumbach namentlich in den humoristischen Partien geschickt durchgeführt hat. Schöpferische Phantasie, ein echtes Dichtergemüth, ungetrübter Frohsinn haben sich hier zu schönem Bunde vereinigt; — wer ein Freund dieser Dichtungsart ist, dem wird das kleine Büchlein in sommerlichen Tagen manche frohe und schöne Stunde bereiten.
Gedichte von Ernst Ziel. Zweite vermehrte Auflage. (Leipzig, Verlag von Ernst Keil.) Ernst Ziel hat sich nicht nur als Redacteur der „Gartenlaube" einen geachteten Namen in der literarischen Republik erworben, er gehört auch als Dichter zu den wahrhaft „Berufenen". Die in kurzer Zeit nothwendig gewordene zweite Auflage seiner Gedichte ist ein vollkräftiger Beweis dafür, daß Ernst Ziel bereits Bürgerrecht auf dem deutschen Parnaß erworben. Es ist in der That ein männlich starker Geist, eine überzeugungstreue Gesinnung, ein energischer Fortschrittstrieb und zugleich eine außerordentliche Gestaltungskraft, welche in diesen Gedichten und Liedern, die auch von seltener Formvollendung sind, sich offenbaren. In den „Vaterländischen Gedichten" pulsirt eine warme patriotische Gesinnung, quillt der Feuerstrom echter Vaterlandsliebe. In den ge- d ankentiefen Canzonen und einzelnen der vermischten Gedichte: „Der Urweltfriede", „Vom Bau zu Babel" sowie in den „Stimmungen und Reflexionen" erhebt sich der Dichter zu mächtigem Gedankenschwunge, der die schwierigsten Räthsel des Menschendaseins zu lösen trachtet. Das Glaubensbckenntniß des Dichters ist das aller wahrhaft großen und edlen Menschen: „Des Menschen Höchstes ist die Menschenliebe!" Am ansprechendsten sind die Lieder Ziel's, aus denen sein sinnig deutsches Gemüth spricht und welche die ergreifendsten Herzenstöne anschlagen. Vorzüglich anmnthend sind die Liebeslieder an Willy (des Dichters Gattin), der auch die ganze Sammlung gewidmet ist.
Aus dem Tagebuche eines Capellmeillers. Von Martin Roeder. (Mailand, G. Ottino.) „Dal taeoaino cl'un äirrwtors ck'orobostra" — dies ist eigentlich der Titel eines vor Kurzen: erschienenen, ziemlich umfangreichen Werkes von Martin Roeder. Der jetzt in Deutschland lebende junge Componift hat diese während seines langjährigen Aufenthalts in Italien in verschiedenen musikalischen und politischen Zeitungen veröffentlichten Aufsätze über Kunst und Künstler Italiens gesammelt, und der Verleger Ottino hat das Werkchen in splendider Ausstattung herausgegeben. Wir empfehlen Allen, die der italienischen Sprache mächtig