Heft 
(1878) 08
Seite
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schreibst nicht, ob re." Als der Graf sein Zimmer aufge­sucht hatte, warf er sich in die Ecke seines Sophas und blickte nachdenklich in die Flammen der Kerzen. Durch das geöffnete Fenster kamen zu gleich mit der warmen Nachtluft zahlreiche Mücken ins Zimmer, flatterten in die Lichte und stürzten dann jäh auf die hellgraue Tischdecke herab, die von ihren schwärzlichen Ueberresten mehr und mehr bedeckt wurde. Draußen in der Ulme vor dem Fenster schrie unheilverkündend ein Käuzchen.

Der Graf bemühte sich, so kaltblütig wie möglich zu über­legen. Die Geliebte mußte fort, fort ans seiner gefahrvollen Nähe. Sie mußte fort um ihretwillen, um Inas willen, end­lich auch um seinetwillen. Sie sollte nicht wieder zurück zum Vater, in dieser Beziehung hatte er schon einen fertigen Plan. Seine Tante, die Gräfin Gella Polderkamp, die als kinderlose Wittwe in Riga lebte, liebte ihn über alles; sie würde auf seinen Wunsch gewiß Alice als Gesellschafterin engagiren und sie so für die nächsten Jahre wenigstens aller Noth des Lebens entrücken. Diese Bitte ließ sich durch die Beziehungen, in die Alice zu seiner Familie getreten war, und ihre persönlichen Verhältnisse hinreichend motiviren. Aber wie sollte er Alicens Gehen veranlassen, wie es einleiten? Ina schien unglücklicher­weise mit ihren Leistungen zufrieden zu sein, die Kinder hatten sie herzlich liebwie könnten sie auch anders," dachte der Graf.

Er entschloß sich endlich, die Rückkehr der alten Camp- bells abzuwarten. Er wollte dann mit feiner Schwiegermutter sprechen und ihr vorstellen, daß Alice bei aller Liebenswür­digkeit und bei allem Eifer für eine Erzieherin doch noch zu jung sei. Die kluge alte Dame würde dann schon ein Arran­gement finden, durch welches das Verhältnis zu Weihnachten gelöst würde, ohne daß Alice sich dadurch irgend verletzt fühlen konnte. Dieser Entschluß besagte freilich, daß Alice bis Weih­nachten in Rotenhof blieb; aber der Gras fand keinen anderen Ausweg. Er schwur sich noch einmal, seine Leidenschaft mit eiserner Hand niederzuhalten; er gelobte sich nochmals, aus seinem Verkehr mit Alice jede Vertraulichkeit fern zu halten; er nahm sich vor, sich künftig noch mehr am Tage seinen Ge­schäften, am Abend seiner Frau zu widmen.

Ein schön gemusterter hellgrauer Nachtschmetterling flatterte auf das Licht zu. Der Graf trieb ihn durch eine Handbewegung davon. Da war er wieder der Graf verscheuchte ihn aber­mals. Ein durch den Luftzug hervorgerufenes Knarren der Thür bewog den Grafen, sich umzuwenden. Als er seine Blicke wieder dem Licht zuwendete, stürzte das Thierchen mit ver­brannten Flügeln auf den Tisch herab.

Einige Tage nach diesen Vorgängen gab es wieder einen besonders schönen Tag. Die Sonne kam nicht zum Vorschein; gleichmäßige graue Wolken verhüllten sie und das Blau des Himmels, aber es regnete nicht und war ganz windstill. Die Luft war von wohlthuender warmer Feuchtigkeit erfüllt, alle Blüten, alle Blumen dufteten stärker als sonst. Der Graf wollte auch heute wie schon an den drei vorhergehenden Tagen gegen seine Gewohnheit nach Tisch noch einmal ausreiten, um einem Alleinsein mit Alice aus dem Wege zu gehen. Als er sich aber nach der Mahlzeit erhob, trat diese auf ihn zu, blickte ihn schalkhaft an und sagte wie ein verwöhntes Kind, das sich für einen Augenblick vernachlässigt fühlt:Warum werde ich

denn jetzt gar nicht mehr mitgenommen, Herr Vetter?"

Ich wußte nicht, daß Sw mitgenommen werden wollten, Cousine," erwiderte der Graf und befahl, das Reitpferd der Gräfin bis zu diesem war Alice mittlerweile avancirt satteln zu lassen.

Der Graf hatte gethau, als ob er in Geschäften ausreiten müsse, sie schlugen daher den Weg nach einem der entfernteren Vorwerke ein, wobei sie eine Weile die von Campbellshof nach dem Inneren des Landes führende Landstraße verfolgen mußten. Während sie sich noch auf dieser befanden, lockerte sich unter Alice der Sattelgurt, so daß beide absteigen und der Graf ihn fester ziehen mußte. Da sein eigenes Pferd so wild war, daß er es nicht allein stehen lassen konnte, so mußte er es für einen Augenblick anbindeu; er führte daher die beiden Thiere auf eine hart an den Wege stoßende Lichtung des Waldes,

band sein Thier an eine Birke und brachte den Sattel in Ord­nung. Als er Alice wieder in denselben hob, fuhr gerade der Kirchspielsrichter Werchend vorüber. Dieser sah einen Augen­blick erstaunt auf die beiden, grüßte dann sehr höflich und fuhr weiter, wandte sich aber bald im Wagen um und blickte ihnen nach, bis eine Wendung der Straße sie seinen Blicken entzog. Die Begegnung schien ihn in hohem Grade zu inter- essiren, er schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf und ließ seinen Vollbart durch die Hand gleiten, während ein Lächeln seine Lippen umspielte.

Als Herr von Werchend nach einer Stunde mit dem Baron Weiß und dessen Frau im Garteil des Weißscheu Gutes beim Abendessen saß, wandte er sich an die Baronin und sagte: Ein liebreizendes Mädchen, die Polderkampsche Gouvernante!"

Sie meinen die Heinersdorf?"

Ja!"

Die Baronin zuckte die Achseln.Ich begreife uicht, was die Herren an ihr finden. Mein Geschmack ist sie nicht."

Der Kirchspielsrichter blickte aufmerksam auf ein Brot­kügelchen, das er unter dem übereinander gelegten langen und Zeigefinger hin und her rollte.

Manchem Herrn scheint sie allerdings sehr zu gefallen," sagte er lächelnd.

Die Baronin, eine kleine runde Frau, neugierig wie eine Nachtigall und geschwätzig wie eine Elster, blickte auf, als ob das Brotkügelchen, mit dem der Baron spielte, ein Mehl­wurm wäre. Auch ihr Gemahl hob die Adlernase hoch und sah den Herrn gespannt an.Was willst Du damit sagen?" fragte er.

Der Kirchspielsrichter ließ das Kügelchen fahren und blickte aus seine krallenartig langen Nägel.Man muß mit der Gräfin rechtes Mitleid haben," sagte er,die arme Dame soll ja wirk­lich sehr leidend sein."

Frau von Weiß rückte ihren Stuhl näher heran.Meinen Sie wirklich?" sagte sie.Aber sie leben doch wie die Engel im Paradiese?"

Der Kirchspielsrichter zuckte die Achseln.Meine gnädige Frau, ich sage nichts, was dieser Annahme widerspricht."

Aber, bester Werchend, seien Sie doch nicht unnützer Weise so zugeknöpft. Wir sind ja hier ganz unter uns, und mein Mann und ich sind verschwiegen wie Gräber."

Gewiß, meine gnädige Frau, ich zweifle nicht daran; aber Sie werden mir zugeben, daß es Dinge gibt, über die man auch nicht einmal Vermuthnngen aufstellen darf, ehe man Beweise in Händen hat."

Der Hausherr nahm einen Schluck Rothweiu, rollte ihn im Munde hin und her, gluckste wie eine Henne und lachte daun hell auf.Da hast Du es, Agathe!" rief er.Ist er nicht ein Diplomat, ein vollständiger Metternich?"

Der Kirchspielsrichter runzelte ein wenig die Stirn, als ob ihm der Spaß nicht recht angebracht erschien, schwieg aber. Er war ein langer Mann mit einer langen, am Ende aufge­stutzten Nase und schläfrigen Augen. In den besseren Kreisen seiner Standesgenossen galt er für dumm, tückisch und hoch- müthig, während man in bürgerlichen Kreisen viel von seiner Vornehmheit" sprach. Da sein Urgroßvater noch Kalbsfelle gros exportirt hatte, so war er übrigens natürlich außer­ordentlich adelsstolz.

Die Baronin flatterte vom Strauch herab.Stellen Sie doch nur Vermuthungen au," bat sie dringend.Also Sie meinen, daß da drüben in Rotenhof nicht alles in Ord­nung sei?"

Der Kirchspielsrichter sah einen Augenblick wie schwankend vor sich hin, blickte aber dann auf und sagte entschlossen:Ja, das meine ich."

Hör einmal, Werchend, das meinst Du doch gewiß nur, weil Du damals die Geschichte mit Polderkamp hattest."

Herr von Werchend runzelte die Stirn.Sie sehen, meine gnädige Frau," erwiderte er,wie recht ich hatte, als ich vor­hin sagte, solche Vermuthungen seien unstatthaft."

Die Baronin warf ihrem Manne einen ärgerlichen Blick zu.Du bist mir unbegreiflich, Alexander," sagte sie.Jene