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alberne Geschichte ist längst vergessen. Sprechen Sie nur, Herr von Werchend, sprechen Sie nur!"
„Sprechen kann ich nicht; aber ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, eine Geschichte, die sich nicht in dieser Gegend abspielte, eine Geschichte, deren Helden Sie nicht kennen, eine ganz objektive Geschichte."
Die Baronin setzte sich in Positur und sperrte den Schnabel auf, ihr Mann zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf und lächelte, als ob er sagen wollte: „Was das für ein Unsinn ist!" Der Kirchspielsrichter lehnte sich im Stuhl zurück und erzählte:
„Es lebte einmal in Pommern oder Preußen ein Freiherr — ein Freiherr, meine gnädige Frau — der in weiten Kreisen sehr geachtet war. Dieser Freiherr hatte früher bei der Garde — in Potsdam natürlich — gedient; sagen wir bei den Husaren. Er war dort ein berüchtigter Wüstling gewesen und hatte sein väterliches Erbe bis aus den letzten Kopeken dnrchgebracht. Da gelang es ihm, eine reiche Erbin zu bethören; er heirathete sie, nahm seinen Abschied und wurde Gutsbesitzer — Rittergutsbesitzer, meine gnädige Frau. Gewandt und mit allen Hunden gehetzt, wie er war, verstand er es bald, sich in den Ruf eines ausgezeichneten Landwirthes, eines geschickten Verwalters und eines liebevollen Ehemannes zu bringen, obgleich er von der Landwirthschaft nichts verstand , in der Verwaltung immer gegen das Gesetz verstieß und sein Weib Jahr für Jahr betrog. Schließlich kam eine hübsche Wirthschafterin ins Haus — eine Wirthschafterin, meine gnädige Frau — und der Freiherr entblödete sich nicht, mit ihr hinter dem Rücken seiner ihm blind vertrauenden Frau ein Liebes- verhältniß anzuknüpfen. Er entblödete sich nicht, sich mit ihr am Hellen lichten Tage Rendezvous im Walde zu geben, und einer meiner Freunde, der schon vorher durch seinen Diener, der mit dem Diener des — des Freiherrn bekannt ist, aufmerksam gemacht worden war, hat sie selbst bei einem solchen überrascht."
„Selbst? Sie sagen, Sie hätten sie selbst bei einem Rendezvous überrascht?"
„Ich habe gar nichts gesehen, meine gnädige Frau; ich spreche von meinem Freunde."
Der Hausherr erhob sich und schlug seinem Gast derb auf die Schulter. „Ist das ein verdammter Schwindel!" sagte er lachend und ging, um die Cigarren zu holen. Er war halb belustigt und halb verdrossen, ersteres aber ungleich mehr als letzteres.
„Schlauberger," dachte er, „in dieser Form kann man dem ehrlichsten Manne den Hals abschneiden, ohne irgend etwas dabei zu riskiren. Ein höchst gefährlicher Pfiffikus, ein nichtswürdiger Pfiffikus!"
Die Baronin beugte sich über die Ecke des Tisches nach dem Gaste hinüber. „Und die Details?" fragte sie. „Hat Ihr Freund Ihnen nicht auch die Details mitgetheilt?"
„Die Details, meine gnädige Frau, die Details entziehen sich der Mittheilung. Aber nicht wahr, gnädige Frau, ich habe Ihr Ehrenwort, daß Sie gegen niemand davon sprechen?"
„Ich bin verschwiegen wie das Grab. Die arme, arme Gräfin," erwiderte die Baronin.
XI.
Als der Graf nach dem Ritt in das Boudoir seiner Frau trat, saß sie am Schreibtisch und schrieb an einem Brief. Der Graf beugte sich zu ihr herab und küßte sie aus die Stirn. Als er das that, empfand er zu seinem höchsten Schrecken, daß seine Frau ihm nicht nur nicht mehr lieb war, nein, daß sie ihm Widerwillen einflößte. Auf das äußerste beunruhigt, suchte er sein Zimmer auf. Seine Frau hatte ihn in der ersten Zeit nur durch ihre Schönheit und ihre edle Haltung gefesselt, er hatte dann lange geglaubt, sie zu lieben. In der letzten Zeit hatte er sich davon überzeugt, daß diese Annahme eine irrige gewesen war; aber so wie heute hatte er es nie empfunden. Was sollte daraus werden?
Von verzehrender Unruhe erfüllt, ging Georg mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder. Er hielt sich immer
und immer wieder vor, wie viel er seiner Frau Dank schuldig war, wie treu sie ihm ergeben war, wie schöne Stunden er mit ihr verlebt hatte. Er sagte sich, daß sie ihm nie auch nur den mindesten Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hatte, daß er sie nicht nur achten, nein, daß er sie auch lieben mußte, daß das seine Pflicht war, daß er ein undankbarer Schurke war, wenn er sie nicht liebte. Diese Stimmung mußte vorübergehen. Die Ehe ist keine flüchtige Liebschaft, sondern ein sittliches Berhältniß. Es gilt eben nur, sie als solches auf- zusassen, um auch die Kraft zu finden, die Versuchung nieder- znwerfen. In der Ehe kommt es nicht auf die willkürlich kommende und gehende Geschlechtsliebe an, nein, sondern ans die Achtung, aus der dann schon die Liebe erwächst.
Der Graf wandte sich jäh um, als ob er ein unbändiges Roß mit Zügel und Schenkel herumwarf, und begab sich wieder zu seiner Frau. Frau Ina hatte einen Brief von ihrer Mutter erhalten und las ihn ihrem Manne vor. Georg saß neben ihr, hielt ihre Rechte in beiden Händen und blickte ihr aufmerksam ins Gesicht.
„Vorgestern kam die Kaiserin Eugenie," las Frau Ina. „Sie ist, seit ich sie nicht gesehen habe, viel voller geworden, was ihr außerordentlich gut steht. Der junge Prinz gleicht ihr wenig, er gleicht aber auch dem Vater nicht. Er erinnert ein wenig an Max Belchersheim, ist aber weniger hübsch.
„Wir leben hier sehr angenehm. Es sind viele Landsleute hier und einige sehr liebenswürdige österreichische Familien. Du kennst meine Schwäche für Alt-Oesterreich. In unserem Kreise verkehrt auch ein Jesuit, ein Graf Marlow, ein . liebenswürdiger Mann aus guter alter Familie. Er schien es eine Zeit lang auf mich abgesehen zu haben; ich ging ihm aber mit der Bibel so energisch zu Leibe, daß er auf den Sand gerieth, wie ein Floß bei fallendem Wasserstande. Ich that nur — Was hast Du, Georg?"
Georg hatte die Hand seiner Frau fallen lassen und war aufgesprungen. „Wie edel," hatte er, während Ina las, gedacht, „wie edel ist dieses Antlitz! Wie schön ist mein Weib und wie — und wie — unerträglich!"
„Was hast Du, Georg?" wiederholte die Gräfin, indem sie sich erhob und beunruhigt an ihn herantrat.
„Nichts, Ina, nichts. Es ist so heiß hier. Amalie, bringen Sie mir einen Syphon, aber er muß ganz kalt sein."
Ina war zärtlich um ihu besorgt; sie ahnte nicht, daß jede Berührung ihrem Manne weh that, daß er hätte auf- schreien mögen.
Der! Graf wurde seiner wieder Herr, hörte den Brief zu Ende und unterhielt sich dann, so gut er konnte.
Als er gegangen war, wandte sich Ina zu Amalie. „Was der Herr nur haben mochte?" fragte sie.
lieber Amaliens Gesicht flog ein spöttisches Lächeln. „Der gnädige Herr war mit ihr ausgeritten. Da wird er sich zu sehr erhitzt haben."
Die Gräfin erwiderte kein Wort, aber sie wurde sehr bleich. Es war zweifellos das Gewissen, das den Grafen - aufgeschreckt hatte. Sie nahm sich vor, ihren Mann künftig noch sorgfältiger zu beobachten, und sie führte ihren Vorsatz mit der ganzen Selbstquälerei der Eifersucht aus. Und doch konnte sie zu keiner Gewißheit gelangen.
Der Graf war zwar wie verwandelt. Er, der sonst stets so heiter und gleichmäßig Gestimmte, war jetzt vielfach zerstreut, oft niedergeschlagen, immer unruhig. Die Leute hatten ihn nie so reizbar und jähzornig gesehen, wie in diesen Tagen.
Er behauptete zwar, die Hitze und Hallermünde trügen die ! Schuld daran; aber das war wenig glaubhaft. Auf der anderen Seite war das Wesen der Gouvernante so unbefangen, daß es Ina immer wieder stutzig machte.
Auch Alice litt unter der Veränderung, die mit dem Grafen vor sich gegangen war. „Unser Graf ist in den letzten beiden Wochen ganz verändert," klagte sie ihrer Freundin. „Die Kinder und ich müssen bei Tag und Nacht daran denken, was er nur haben mag. Ich sage Dir, es sind vierzehn Tage her, seit wir zum letzten Mal sein uns so herzig klingendes Lachen hörten. Er behauptet, das neue Gut mache ihm über-