Heft 
(1878) 08
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mäßig viel zu schaffen, und ich will das wohl glauben, wenig­stens reitet er jetzt auch am Nachmittag noch aus und nimmt mich nur mit, wenn ich ihn ausdrücklich darum bitte; es scheint mir aber, als ob die eigentliche Ursache feiner Ver­stimmung die Launen der Gräfin sind, er sieht wenigstens immer finster drein, wenn er von ihr kommt. Was für eine Gemüthsbeschaffenheit gehört dazu, einem solchen Manne das Leben zn verbittern! Die Gräfin hat ihn wahrhaftig in keiner Weise verdient. Da verstehen die Leute ihn besser. Er ist jetzt manchmal wirklich recht ungerecht; aber keine Klage wird laut.Wenn unser Graf nur nicht krank ist!" sagen sie mit besorgten Gesichtern das ist alles."

Ein sehr heißer Tag neigte sich seinem Ende zu. Der warme Abendwind fuhr zum Theil schon über die Stoppeln hin, und wo er noch auf aufrechte Halme stieß, da neigten sich die korngefüllten Aehren schwer dem Boden zn. Der Graf hatte nach Tisch noch einen weiten Gang um die Felder ge­macht und wandte sich jetzt müde nnd matt dem Burgberge zu. Seit jenem Abend, an dem er mit Alice hier gesessen hatte, suchte er dieses Plätzchen oft auf, um hier von ihr zn träumen. Er hatte sich eingeredet, daß er das ja dürfe, und daß er, wenn er ihre Gegenwart mied, alles that, was er und andere irgend von ihm verlangen konnten. So ließ er denn auch heute, als er oben auf der Bank Platz genommen hatte, seine Phantasie frei gewähren. Ach, unter ihrem Pinsel entstanden ja so köstliche Bilder, Bilder, deren Anblick be­rauschte und die Gegenwart vergessen ließ, wie das Opium der Orientalen.

Ein leises Geräusch ließ ihn sich umwenden. Da stand sie, von der er so eben geträumt hatte, und blickte ihn an, heute zum ersten Mal nicht wie ein Kind, sondern verlegen, erröthend, verwirrt. Der Graf erhob sich, schritt ans sie zn nnd umarmte sie. Er fand keinen Widerstand.

Man sagt, daß die Ertrinkenden, wenn der Schreck und der Ersticknngskrampf überwunden sind, ein wundervolles Ge­fühl von völliger wonniger Hingabe überkommen soll.

Die beiden waren wie zwei Ertrinkende.

Aber nur für einen Augenblick, dann wurden sie wieder ins Leben zurückgerufen.Fräulein," rief eine Kinderstimme aus dem Dickicht,Fräulein, ich habe einen wunderschönen, ganz runden Stein!"

Der Graf fuhr zurück, und Alice flog den Hügel hinab, dem Dickicht zu, wie ein Reh, das der Morgen auf freiem Felde überrascht hat.

Der Graf blickte ihr einen Augenblick nach, schlug sich dann mit der Hand vor die Stirn und wendete sich dem nach dem Schlosse führenden Fußpfade zu. Er verfolgte ihn so eilig und mit so festen Schritten, als ob im Schlosse ein dringendes Geschäft Erledigung heischte. Die tollsten Vorsätze und Pläne durchkreuzten sein Hirn. Auf dem letzten Baume des Wäld­chens saß ein riesiger Kolkrabe und krächzte laut nach dem Grafen hinüber. Dieser blieb stehen und that, als ob er eine Flinte anbackte; aber der Vogel ließ sich nicht verscheuchen. Die Kolkraben sollen ja uralt werden vielleicht hatte dieser es schon mit angesehen, wie während des nordischen Krieges das Feuer nicht jenes Feuer der Sonnenstrahlen, das jetzt aus allen Fenstern des Schlosses hervorschlug, nein, wirkliches Feuer den Edelhof, der damals am Fuße des Burgberges stand, bis auf den Grund verzehrte, und freute sich nun des neuen Unglücks.

Ich habe mein Weib unglücklich gemacht," dachte der Graf,meine Kinder unglücklich gemacht, ich habe in die Adern eines unschuldigen Kindes verzehrendes Feuer ge­gossen. Was nun? Zunächst müssen sie alle fort von hier es wird sich schon ein Vorwand finden und müssen getrennt werden. Und dann will ich an Ina schreiben und ihr sagen, wie es gekommen ist, und ihr die Freiheit wieder­geben. Ich werde dann auch frei werden und an Alice, so viel ich kann, gut machen, was ich ihr angethan."

Und doch was hieß in diesem Fallefrei geben",frei werden"? Konnte sein Weib, so lange erlebte, je wirklich frei werden, konnte er mit Alice je eine wirkliche Ehe führen?

Georg blieb stehen. Ein Feldrain führte rechts zwischen den Kornbreiten hin. Georg betrat ihn und ging langsam zwischen den fast mannshohen Halmen weiter. Dann warf er sich nieder in das Gras, verhüllte sein Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich. Wie glücklich war er bisher gewesen, wie rein und nun!

Auch Alice hatte sich in tiefster Erregung auf ihr Zimmer geflüchtet. Wie hatte sie nur bisher so blind sein können, wie war sie nicht schon längst zum Bewußtsein gekommen, daß sie den Grafen liebte, daß er sie liebte? Aber was nun weiter? Er, der Edle, würde von ihr nimmermehr verlangen, daß sie seine Geliebte würde, und wenn er es verlangte, so gab es für eine Heinersdorf nur eine Antwort. Aber daran war ja gar nicht zu denken.Der Graf liebt die Gräfin nicht und sie hat seine Liebe nicht verdient. Er wird sich von ihr scheiden lassen, und dann dann" Alice schloß die Augen.

So dachte sie anfangs, dann aber kamen ihr andere Ge­danken. Der Graf liebte die Gräfin nicht, und diese kalte launenhafte Frau hatte seine Liebe in keiner Weise verdient. Aber war sie nicht trotzdem sein Weib? Die Mutter seiner Kinder? Und dann das Schloß und alles Land umher, so weit das Auge blickte, gehörte ihr, würde der Graf um Alicens willen auf das alles verzichten? Durfte sie die Veranlassung sein, daß eine Ehe gelöst wurde, durfte sie ein solches Opfer von dem Grafen annehmen, ja ihm nur zumuthcn? Nein, nimmermehr. Sie wollte entsagen, wollte fort, fort ohne Ab­schied, noch heute fort. Aber wie sollte sie ihr plötzliches Scheiden der Gräfin gegenüber begründen? Wie ihrem Vater, den Freundinnen gegenüber? Und doch, was sollte daraus wer­den, wenn sie blieb?

Alice siel nieder auf ihre Knie nnd erflehte in heißem Gebet von Gott Rath, Schutz, Hilfe.

Als Amalie durch den Diener erfuhr, daß weder der Graf noch die Gouvernante beim Abendessen erscheinen wür­den, weil beide Kopfweh hätten, zuckte es seltsam in ihrem Gesicht.

Gnädige Frau," sagte sie,können die kleinen Komteß- chen nicht heute bei Ihnen essen? Der gnädige Herr und sie kommen nicht zum Abendessen, weil beide Kopfschmerzen haben."

Die Gräfin fuhr erschreckt auf, faßte sich aber rasch und erwiderte:Natürlich."

Mama, das war ein schöner Abend," hieß es.

Wo seid Ihr denn gewesen?"

Auf dem Burgberge. Wir haben die schönsten Steine gefunden, zwei Kugeln."

War war Fräulein Heinersdorf mit Euch?"

Ja wohl, Mama. Die große Kugel hat Fräulein Heiners- dors gefunden. Sie hat uns auch eine wunderhübsche Geschichte erzählt vom treuen Johannes."

Die Gräfin fuhr mit der Hand langsam über das weiche Haar der neben ihr knienden Erna. Auf ihren Wangen kam und ging das Roth in raschem Wechsel.

Amalie warf einen prüfenden Blick auf ihre Herrin und kam ihr dann zn Hilfe. War der gnädige Herr Graf auch da?" fragte sie.

Papa? Nein, Papa war nicht da."

Die Gräfin athmete auf.

Aber Amalie war noch nicht befriedigt.Kamen die Komteßchen mit ihr zurück?" fragte sie.

Eleonore, die am Fenster saß, wandte sich um und lachte. Ja, Amalie, wir kamen mit ihr zusammen zurück. Warum fragst Du darnach?"

Nun fragen kostet kein Geld. Warum soll ich nicht dar­nach fragen?

(Schluß folgt.)