Heft 
(1878) 11
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selbst die Jagdhunde bissen einander. Der böse Nachbar kam selbst auf den Gedanken, sich wählen zu lassen, und begann ringsum Stimmen zu werben. Dies benutzte Mama klug, um Papas Verdruß von neuem anzufachen und seine Eifersucht zu reizen. Um dem Feinde nicht den Triumph der Wahl zu gönnen, ward er sein Nebenbuhler. Ein Wahlkommittee nahm seine Wahl in die Hand und verstand sie leider durchzusetzen, gegen die Zusicherung einer Rede, welche fett gedruckt im Hinter- hausener Wochenblatt zu lesen sein solle. So kann man ins Unglück gerathen," setzte Gretchen mit verzweifelnder Miene hinzu.

Hahaha! Entschuldigen Sie, theures Gretchen, wenn ich ' über die amüsante Vorgeschichte seiner Wahl ein wenig lache," sagte der Assessor.

Es ist nicht hübsch von Ihnen, zu scherzen, wenn ich traurig bin."

Wahrlich, Sie haben Recht Verzeihung! Ach, wenn ich Ihnen helfen könnte! Wie gern! Ihnen und ihm! Halt, wahrhaftig, mir kommt Plötzlich ein glücklicher Gedanke"

Wie so?" ,

Wahrhaftig, es ginge vielleicht! Der Gedanke ist etwas sonderbar, abenteuerlich, aber lustig und gutgemeint! Sie, mein Fräulein, mögen entscheiden, ob er durchzu­führen ist?"

Ich verstehe Sie nicht!"

Diese wenigen Blätter, welche ich hier zwischen meinen Fingern halte," fuhr der Assessor, auf die Manuskriptrolle deutend, fort,sind augenblicklich mein Schatz, die Saat einer gehofften Ernte. Ich opfere sie freudig auf dem Altäre der Liebe!"

Bitte, erklären Sie sich näher!"

Ich glaube, ich sagte Ihnen bereits, daß ich mich ein wenig mit Finanzwirthschaft beschäftigt habe, bitte aber wohl zu verstehen, durchaus nicht mit meiner eigenen! Die Gedanken und Anschauungen, zu denen ich nach ziemlich gründlichen Studien gelangt bin, sie sind in diesen wenigen Blättern niedergelegt. Diese sind nächst Ihrer Liebe, theures Gretchen, mein kostbarster Besitz. Die Arbeit macht keinen Anspruch darauf, den Stein der Weisen gefunden zu haben; aber sie genügt vielleicht für die Zwecke einer Rede über den fraglichen Gegenstand."

Noch wird mir Ihr Plan nicht vollständig klar, aber eins erkenne ich dankbar: daß Sie uns helfen möchten und vielleicht helfen können," erwiderte Gretchen, indem sie dem Assessor freudig und zutraulich die Hand reichte. Ihr ganzes Wesen leuchtete wie verklärt, die Zurückhaltung, zu welcher sie sich selbst aus Rücksicht auf Papas Verbot gezwungen, war dahin die warme junge Freude ihres Herzens strahlte aus ihrem ganzen Sein hervor.

Sagen Sie, theures Gretchen, auf welche Weise diese Blätter in die Hände Ihres Vaters gelangen können," fragte jetzt der junge Mann, indem er mit Wonne die Veränderung ihres Wesens bemerkte.Rathen Sie, ich bitte!"

O, ich meine, es wird nicht schwer sein irgend ein Weg wird sich finden lassen! Vielleicht wäre es am besten mit den Austern geschehen"

Ich muß es Ihnen überlassen, ein Mittel zu finden."

Wahrhaftig, ich höre ihn drinnen im Zimmer in unbe­haglicher Stimmung auf und ab gehen, der arme Papa! Jetzt es ist kein Zweifel, er wendet sich dem Salon zu, er kommt! Halt, jetzt habe ich einen Gedanken!"

Gretchen war bei diesen Worten in unwillkürlicher Be­wegung an das Sopha herangetreten, auf welchem der Schlaf­rock ausgebreitet lag. Sie trug das verhängnisvolle Kleidungs­stück auf den leer gelassenen Platz des Geburtstagstisches in nächste Nachbarschaft des Caviarfäßchens und legte es sorg­fältig daselbst nieder.

Der Assessor hatte sie schnell verstanden. Er reichte ihr die Papierrolle, sie versenkte dieselbe in Eile wieder in die linke Tasche des Geburtstagsgeschenkes. Sie ruhte wohlgeborgen an ihrem alten Platze und schaute nur spannlang oben neu­gierig daraus hervor.

Dann traten die beiden lachend zur Seite wie zwei glück­liche Kinder, denen es gelungen ist, einen lustigen Streich aus- zusühren. Der chinesische Ofenschirm, welcher vor dem Marmor­kamin stand, mußte sie verbergen.

-e-

Ernst und tief in Gedanken versunken, als sei er bemüht, den Stein der Weisen zu finden, trat Herr von Stolp jetzt in die Thüre. Die Welt um ihn her war vergessen, er schritt einher wie ein Schlafwandelnder.

Der Champagner ist matt trotz des Eises er gibt weder Inspiration noch Courage," sagte er klanglos.Und doch, unwiderruflich, unerbittlich, fünf, nein zehn Minuten lang muß ich reden mehr ist von einem Christenmenschen nicht zu verlangen! Das gibt fett gedruckt ungefähr drei Spalten im Wochenblatt. Und zwar über einen Gegenstand, über den bereits drei bis vier Vorgänger gesprochen, den sie gedreht und gewendet wie ein Paar getragene Pantalons, die einen ver­borgenen Riß haben!Sie wollen auch noch reden?" fragte man mich gestern im Lesekabinet da floß mir die Galle über! Herr, denken Sie vielleicht, daß ich Ihretwegen rede? fuhr ich den Insolenten an. Ich rede nur, damit mich meine Wähler gedruckt lesen! Das heißt notabene, wenn es über­haupt geht! Aber ich bin ein Mensch, den man grausam ins Wasser geworfen, ohne daß er schwimmen gelernt hat. Und heute ist mein Geburtstag, dort steht der Tisch mit dem Caviar- fäßchen, mit dem mich meine Frau vernünftigerweise bedachte. Und daneben liegt Gretchens Schweizerlandschaft und der ge­stickte Stiefelknecht. Doch was sch' ich dort? Wahrhaftig, der neue Schlafrock, den mir meine Frau gestern ausgeplaudert und mit dem sie mich heute zu überraschen gedenkt. Aber was sieht denn da hervor wie ein Meilenzeiger? Ein Papier, ver- muthlich eine Zeitung? Nein, es sind geschriebene Blätter."

Bravo, das Mäuslein riecht den Speck!" flüsterte der Assessor hinter dem Ofenschirm, indem er sich lustig die Hände rieb.Ob es wirklich in die Falle geht?"

Wahrhaftig, es scheint ein Manuskript zu sein," fuhr Herr von Stolp fort, indem er die Nolle von links und rechts besah. Sonderbar! Wie kommt es in den Geburtstagsschlaf­rock? Und was enthält es? Wie lautet die Aufschrift? Herr meines Lebens, sie lautet:Zur Finanzfrage. Es ist eine Rede! Wahrhaftig, das nenne ich ein Geburtstagsgeschenk!"

Herr von Stolp sank auf den danebenstehenden Sessel nieder, rollte die feinen Blätter auseinander und las und las

Plötzlich erhob er sich und ging in sein Zimmer. Die ge­schriebenen Blätter nahm er mit.

Die beiden verliebten Kinder hinter dem Ofenschirm aber jubelten laut, ja der Assessor schüttelte sich in herzhaftem Lachen, so daß der chinesische Ofenschirm mit der glockenbehangenen Pagode echt chinesisch hin und her wackelte. Eine halbe Stunde später fuhr Herr von Stolp nach dem Abgeordnetenhause.

V.

Anderthalb Stunden später war Johann im Salon damit beschäftigt, den Mittagstisch zu decken. Frau von Stolp hatte erklärt, das Geburtstagsdiner nicht an der Table d'hote ein­nehmen zu wollen, und hatte einige sich augenblicklich in Berlin aufhaltende Bekannte zu sich eingeladen.

Gretchen war allein auf ihrem Zimmer. Lisette hatte verschiedene Versuche gemacht, ihr gnädiges Fräulein an die Dinertoilette zu erinnern, aber Gretchen hatte der Zofe und der Robe nur wenig Beachtung geschenkt. Ihr junges Herz klopfte laut in eitel Lust und Freude, so daß sie die Hände gegen die Brust preßte, wie um sein Springen zu verhüten. Assessor Winter hatte ihr beim Abschiede gesagt, daß sie trotz aller Wirthsrechnungen der Welt unzweifelhaft die seinige werden solle und müsse. Die Finanzfrage werde hoffentlich ihrem zärt­lichen Papa einen kleinen Redetriumph, ihm selbst aber einen großen Liebestriumph eintragen. Und Gretchen hatte ihrem klugen und gescheiten Liebhaber selbstverständlich geglaubt. Mechanisch ließ sie sich endlich von Lisette ankleiden.