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„Ja, gnädige Frau, ich kann es bezeugen — der Herr kam selbst, das Ding wiederzuholen, ehe es kosging und Unheil anrichtete/' erläuterte Johann, „denn es war geladen"
Frau von Stolp blickte verwundert von einem zu dem anderen.
„Das fragliche Manuskript sollte mir Helfen, meine Zukunft zu begründen, und war mir ein kostbarer Besitz. Der Verleger erwartete es stündlich," erklärte Assessor Winter weiter. „Da führt mich ein Zufall ins Abgeordnetenhaus. Ein neuer Redner hatte so eben die Tribüne bestiegen — Sie, mein Herr! Ihre Lippen verkündeten laut Silbe um Silbe meine Gedanken, Anschauungen und Vorschläge, zu welchen letzteren ich selbst nur nach den gründlichsten Studien gelangt war: mit einem Wort, mein ganzes mühsames Werk, auf das ich meine fernere Zukunft zu gründen gedachte! Das Manuskript des Opus befand sich in der Tasche des Unglücksschlafrockes
„Was reden Sie da, mein Herr," fuhr Frau von Stolp in gerechter Entrüstung auf. Die Stimme stockte der Dame, sie vermochte nicht weiter zu reden.
„Echauffire Dich doch nicht so, liebes Minchen," nahm Herr von Stolp jetzt unbefangen und mit freundlichem Gleichmut!) das Wort. „Zwar verstehe ich noch nicht ganz den Zusammenhang der Sache, aber der Herr hat ja eigentlich ganz recht — ich habe die Rede ja in der Thal dem scherzhaften Orte entnommen, woselbst Du schlauer Weise sie niedergelegt. ! Du warst Pfiffig genug zu wissen, daß sie mir das angenehmste ! Geburtstagsgeschenk war. Die Papierrolle schaute aus der ! Tasche hervor wie ein Meilenzeiger, und wies mir in Wahrheit ! aus der Verlegenheit den Weg, in die ich mich meinen Wählern ! gegenüber verwickelt —"
! „Du Unglücksmann!" war alles, was Frau von Stolps
! bebende Lippen hervorstießen.
! Da Platzte zu rechter Zeit Gretchen dazwischen. „Weißt
^ Du, Papa," rief sie, „daß Herr Assessor Winter der neue Kreis-
s richter von Hinterhausen ist, und daß er schon morgen nach
> unserer Heimat abreisen wird?"
! Herr von Stolp blickte voll Verwunderung auf seine
! Tochter.
! „Und daß, daß ich gern mit ihm nach — Hause ginge,"
setzte Gretchen schüchtern hinzu.
> „Ich auch!" platzte Herr von Stolp jetzt heraus, „der Teusel hat mich geritten, als ich Hinterhausen verließ. In der nächsten Woche ist wieder Treibjagd."
„Nun, so laß uns doch mit ihm gehen, um ihm als alte Bekannte in der neuen Heimat Gesellschaft zu leisten," brachte ! Gretchen in Vorschlag. „In der nächsten Woche ist wieder I Treibjagd."
„Es geht nicht, Kind, mein unglückliches Mandat —"
„Dein Mandat — Unsinn," meinte Gretchen, „Tu legst es nieder — der Bürgermeister und der Rathsapotheker essen wieder bei uns zu Mittag, und Mama läßt die Köchin dabei wirthschaften, als ob's Erntebraten sei — für Deinen Nachfolger und — Schwiegersohn!"
Unwillkürlich, unbewußt hatten sich die beiden jungen Leute einander genähert, und standen neben einander wie das erste gotterschaffene Menschenpaar! Jetzt, ja jetzt zog Assessor Winter seine Eva sogar an sich.
„Das wäre eine Genngthuung, mit der ich mich vollkommen einverstanden erkläre," sagte der Assessor, indem er Gretchens Arm durch den seinen zog. „Ihr Schwiegersohn sogleich — Ihr Nachfolger später!"
Herr von Stolp besann sich ein Weilchen. „Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, den vermaledeiten Weilenbecker zum nächsten Abgeordneten vorzuschlagen, mit der Verpflichtung, eine Rede zu halten. Ich hätte ihm gern etwas eingebrockt, weil er mich einst wegen Jagdfrevels denunzirt. Und ich war sicher, meine Absicht durchzusetzen, indessen — wie aber steht's mit meiner Rede?"
„Sie kommt fettgedruckt ins Hinterhausener Wochenblatt, und gibt sicher einen halben Bogen voll," erklärte der Assessor bereitwillig.
„Topp!" sagte Herr von Stolp — da fiel sein Blick auf seine Gattin! Sie stand nicht mehr hochanfgerichtet; stumm, überwältigt war sie in einen Sessel niedergesunken. „Es ist anders gekommen, als Du, als wir gedacht, liebes Minchen - - Helminchen, wollt' ich sagen."
„Laß mich, Unglücksmann!" stöhnte die Dame leise.
Da trat der Assessor herzu. „Wann werden Sie die Ausstattung in Angriff nehmen, Mama?" fragte er. „Spitzen, Leinen, Silber — es wird viel für Sie zu thun geben! In Wahrheit, Ihre ungerathenen Kinder werden Ihnen viel Sorgen und Mühen machen," setzte er theilnehmend hinzu, indem er der Dame die Hand küßte.
Die cavaliermäßige Huldigung, die Aussicht auf ein neues glänzendes Feld der Thätigkeit schien Frau von Stolp in der That etwas zu versöhnen. Sie sah sich plötzlich im Geiste zwischen Bergen von Spitzen, seinen Negligees und Brüsseler- Kanten, und tauchte unter in ein Meer blütenweißen Leinens. Ihr Genius fand auch hier den rechten Weg. Nun reichte sie dem Schwiegersohn die Hand zu neuem ehrfurchtsvollen Kusse, während sich Gretchen tröstend und liebkosend an sie herandrängte.
„Es ist anders gekommen!" wiederholte Herr von Stolp noch einmal, „anders, als wir gedacht, Helminchen. Aber was thut's? In nächster Woche ist Treibjagd! Willkommen, mein frisches fideles Hinterhausen!"
persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1848-1850.
Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70 .
Xl.
Für den tiefer dringenden Blick war schon damals unschwer zu erkennen, daß in Frankreich eine monarchische Restauration in der Vorbereitung begriffen sei, wenngleich die eigentlichen Faiseurs zu jener Zeit Wohl an Bourbonismus und Orleanismus, aber auch nicht entfernt an eine Restauration des Bonapartismns dachten. Desgleichen gewann man aus dem Verlaufe der Junischlacht aller Orten die Ueberzeugung, daß auch der gefährlichste Aufstand einer richtig geführten Armee nicht gewachsen sei, sobald nur der oberste Befehlshaber im entscheidenden Augenblick Muth und festen Willen bewahre. Außerdem lernte man, daß die besitzende Klasse allen Geschmack an den revolutionären Bewegungen verliert, sobald dadurch nicht blos die Kronen, sondern auch die Geldbeutel gefährdet werden, und daß daher die gesteigerte Agitation die Sympathien des Bürgerthums je länger desto mehr den etablirten Gewalten wieder znführen müsse.
Auf der anderen Seite freilich hatten auch die Führer der demokratischen Bewegung in Deutschland sich der Erkennt- i niß nicht verschlossen, daß in dem gegebenen Augenblicke jede >
soziale Färbung ihrer Aktion möglichst zu vermeiden sei, und daß sie deshalb mit um so mehr Energie die politischen Po- stnlate und die Schwächung der bestehenden Regierungsgewälten in den Vordergrund stellen müßten.
In der preußischen Nationalversammlung war deshalb auch das Hauptstreben darauf gerichtet, das preußische König- thum, wenn auch nicht dem Namen, so doch dem Wesen nach aus der Verfassung zu beseitigen, den preußischen Adel zu nullifiziren, die Armee zu demüthigen und durch Vereidigung aus die Verfassung in ihrem Pflichtgefühl zu verwirren, in der Bürgerwehr ein für ihre Zwecke brauchbares Organ zu schassen, auch dem sozialen Gedanken wenigstens in soweit Eingang zu verschaffen, als dies — wie mit dem Jagdgesetze und der Beseitigung feudaler Einrichtungen und Lasten — unter Zustimmung des ihnen noch unentbehrlichen „liberalen Bürgers" geschehen konnte.
In dieser Zeit beginnt denn auch in Berlin eine sehr- rührige und weitverbreitete Vereins- und Preßthätigkeit, verbunden mit den Anfängen einer Terrorisirung der gemäßigten Mitglieder der Nationalversammlung durch die mit den demokratischen Volksmassen in Verbindung stehenden Führer der