Heft 
(1878) 11
Seite
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Linken. Zugleich wechseln nunmehr die Ministerien in schneller Aufeinanderfolge: Camphausen, Hansemann, Auerswald, Pfuel, deren Mitglieder sich theilweise den Freundschaftsverficherungen des souveränen Volkes mittelst polnischen Abschiedes durch die Hinterthür entzogen, und von denen namentlich das Ministerium des Generals von Pfuel, welcher als bewahrter Kriegsmann ans den Kampfplatz berufen war, in der Theetasse des Herrn Jung*) ein nicht gerade rühmliches Ende fand. Politisch inter­essant war dabei vor allen Dingen die Wahrnehmung, daß die Ministerien in dem Maße kraft- und thatloser wurden, als darin früher gefeierte bureaukratische Größen (wie von Patow, von Bonin u. a.) eine Stelle fanden und zwar, wie ich zur Ehre dieser Männer annehme, nicht weil es ihnen an persön­lichem Muth oder an Treue gegen die Krone fehlte, als viel­mehr, weil sich in ihren: bureaukratischen Lexikon keine In­struktion fand, wie man mit revolutionären Versammlungen und aufrührerischen Volkshaufen umzugehen habe, und sie es daher vorzogen, lieber nichts zu thun, als einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung zu begehen.

Ob die Bnreaukratie heute wesentlich besser ist? Die Er­fahrung wird es lehren. Jedenfalls war damals das Sub­altern:- und Exekutivbeamtenthum in der Mehrzahl zuverlässig, da in demselben die alten militärischen Traditionen noch so stark waren, daß es beispielsweise in der Nacht von: zweiten zum dritten August des Jahres 1848 gelang, die auf Fried­rich Wilhelm bezüglichen Denkmäler, sowie die Statuen der Generale aus den: siebenjährigen und dem Befreiungskrieg, unter Beihilfe der Exekutivbeamten mit einen: Festschmuck zu versehen^ der an: Morgen des dritten August Berlin in Er­staunen versetzte. Wie bekannt, wollen heute viele eine wesent­liche Umstimmung ii: diesen Kreisen und zwar zu Gunsten der sozialdemokratischen Bestrebungen wahrgenommen haben.

Ans dem Gebiete der Vereinsthätigkeit war es das so­genannteJunkerparlament", welches damals einiges Aussehen erregte und welchen: auch ich näher gestanden habe. In das Leben gerufen durch den Herrn von Bülow-Cummcrow, welcher in der vormärzlichen Zeit durch seine beharrlichen Kämpfe mit der preußischen Bnreaukratie einen gewissen liberalen Nimbus erworben hatte und welcher dabei ein feiner, gewandter und in finanziellen Fragen wohlunterrichteter Mann war, verfolgte dieser Verein zunächst das Ziel, den durch die Märzbewegung desorientirten und auseinander gesprengten Grundbesitzerstand durch Darlegung und Vertretung seiner eigenthümlichen Aus­gaben und Interessen zu railliren und damit eine den demo­kratischen Bestrebungen gegenüber widerstandsfähige Macht zu schaffen. Obgleich dieser Verein mit der neuen Kreuzzeitungs- partei sich nicht völlig deckte und namentlich den idealen Zielen der letzteren mehr fern stand, so ließ doch die Noth der Zeit die Differenzen kann: zu Tage treten, zumal jener Verein ein eigenes Organ in der Presse nicht besaß und daher mit seiner Vertretung ebenfalls auf die Kreuzzeitung angewiesen war.

Ueberhaupt konzentrirte sich damals die Vertretung aller derjenigen Personen und politischen Fraktionen, welche sich konservativ oder royalistisch nannten, wesentlich in der Kreuz­zeitung, und es ist und bleibt das große Verdienst dieses Blattes, zuerst einen Vereinigungspnnkt für die ckisjsota lasnidra des alten Preußens geschaffen und den Beweis geführt zu haben, daß Preußen auch noch von anderen Leuten als Liberalen und Demokraten bewohnt werde.

Da ich die Entwickelung jenes Blattes einigermaßen aus der Nähe beobachten konnte, so vermag ich auch aus eigener Wissenschaft zu bestätigen, daß schon das Erscheinen desselben einen großen und achtbaren Theil des preußischen Volkes wie von einen: Alp befreite, und daß die nngeheuchelte Zustim­mung, welche ihn: aus den verschiedensten Gegenden und Kreisen entgegengebracht wurde, diejenigen, welche sich bis dahin poli­tisch völlig vereinsamt gefühlt und in der Klage des Propheten Elias ergangen hatten, mit neuen: Mnthe erfüllte und dadurch die späterenrettenden Thaten" ermöglichte.

ch.Am Abend des 31. Oktober soll Herr von Pfuel gezwungen gewesen sein, den Schutz des Abgeordneten Jung in Anspruch zu nehmen und bei demselben den Abend verbracht haben. D. Red.

Freilich machte sich auch in der Krenzzeitungspartei gleich anfangs ein gewisser Gegensatz, der in derselben begriffenen verschiedenen Elemente bemerkbar, doch kan: dieser Gegensatz thatsächlich so lange nicht zur Geltung, als die Partei in der Hauptsache auf die Defensive und Opposition angewiesen war. Es war dies der Gegensatz zwischen der absolutistisch-bnrean- kratischen Fraktion und denjenigen Elementen, welche das Heil Preußens keineswegs in der Rückkehr zu den vormärzlichen, eben durch die Märzbewegung als in sich verkommen und völlig haltlos enthüllten Zuständen zu erblickten vermochten und des­halb eine Reformation an Haupt und Gliedern als unum­gänglich nothwendig betrachteten.

Daß die damaligen Führer der Krenzzeitungspartei der zweiten Richtung angehörten, ist bekannt, und es wird daraus auch verständlich werden, wenn demnächst in den: Fortgange der Entwickelung eine sich steigernde Entfremdung unter den beiden Nüancen eintrat.

Wie die Rechte in der Krenzzeitnng, so fand die Linke ihre wesentliche Vertretung in derZeitungshalle" und in der zu Köln erscheinendenNeuen Rheinischen Zeitung", von denen besonders die letztere eine Sprache sührte, die man kaum für möglich halten würde, wenn man sie nicht schwarz auf weiß und zuletzt roth auf weiß vor sich hätte. Der König von Preußen fand darin stehend die BezeichnungUnterknäs", die alten preußischen Provinzen figurirten unter den: Namendie alten Kernwanzenlande" und die Ankunft zweier hoher öster­reichischer Offiziere wurde in einem mir noch vorliegenden Blatte gemeldet mit den Worten:Angekommen zwei alte Schmöker von Standrechtsbestien aus Wien." Die prosaische Seele dieses Blattes war Herr Marx, die poetische leider Freiligrath.

Von den sonstigen Preßorganen, welche damals wie das Unkraut aus der Erde schossen, haben, abgesehen von den offi­ziellen und offiziösen Blättern, welche natürlich mit ihren Gönnern zu Grabe gingen, nur dieNationalzeitnng", die Urwählerzeitung" und von den zahlreichen Witzblättern der Kladderadatsch" jene Epoche zu überdauern vermocht und zwar wesentlich um deswillen, weil diese Blätter sich von Hause aus aus gewisse gesellschaftliche Schichten stützten und deshalb ihren Rückhalt nicht allein in veränderlichen politischen Prinzipien, sondern daneben auch in bestimmten, sehr konstanten sozialen Interessen suchten oder eine ganz bestimmte Art von Witz ver­traten. Es gilt dies von den drei genannten Blättern gleich­mäßig, da bekanntlich auch das genannte Witzblatt keineswegs so unparteiisch ist, wie es sich gern den Anschein gibt, sondern von Anbeginn eine sehr spezifische Art voi: Witz an den Markt gebracht und eine sehr leicht erkennbare Bevölkernngsschicht als ein not: ms tnnbtzi-o behandelt hat.

XII.

Gleichzeitig mit den Excessen in der Presse steigerten sich auch die Excesse ans der Straße, und ist es hier besonders der sogenannte Zenghaussturu: hervorzuheben, welcher darauf ge­plant war, in Erwartung der Juniereiguisse in Paris die Masse der Berliner Arbeiter mit den nöthigen Waffen anszurüsten. Zugleich ließ man die Arbeiter kleine Uebungsmärsche machen, um sie durch Zerstörung eines Ministerhotels in der Wilhelms­straße und durch Brandschatzungen einzelner Minister auf grö­ßere Thaten vorzubereiten. Ich habe damals dabei gestanden, als dreihundert sogenannte Rehberger einem der Minister einen Besuch abstatteten, und wie dieser sich der ungebetenen Gäste nicht dadurch entledigte, daß er durch die in dreimal stärkerer Anzahl erschienene Bürgerwehr reinen Tisch machen, sondern unter weiteren Versprechungen für die Zukunft eine kleine Geld­summe vertheilen ließ.

Ebenso habe ich mich persönlich überzeugt, daß bei den städtischen und Staatsarbeiten nicht mehr gearbeitet, sondern einfachUlk getrieben" wurde. Bei den Kanalarbeiten wurde die Erde nicht in der Karre, sondern in der Mütze fortgeschafft und kein Aufseher wagte dieses Spiel ernsthaft zu stören, weil er nach oben keinen Schutz zu erwarten hatte. Nichtsdesto­weniger war man verwundert, daß die Zügellosigkeit und Frech-