Heft 
(1878) 11
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heit sich täglich steigerten, so daß je länger desto mehr anch die Verhandlungen der in dem Schauspielhause tagenden National­versammlung unter dem Zwange der Volksmassen stattfanden.

Allerdings wurde unter dem Eindrücke der Niederlage der Pariser Arbeiter die Taktik einigermaßen geändert, doch blieb die Scenerie dieselbe. Man war seitens der Führer der Be­wegung zu der Ueberzengung gelangt, daß ihre Anstrengungen vergeblich sein würden, wenn es ihnen nicht gelänge, die preu­ßische Armee zu korrumpiren, und seitdem war ihr Hanptstreben daraus gerichtet, diese Korruption mit allen nur findbaren Mitteln in das Werk zu setzen. Zu dem Zwecke strebten die berüch­tigten Beschlüsse: der Armee das freie Vereins- und Versamm­lungsrecht zu gewähren, das Offiziercorps zu purifiziren und dasselbe mit einem neuen Geiste zu erfüllen, und endlich der Beschluß vom 31. Oktober: die Armee in den Dienst der Revo­lution zu stellen; ein Beschluß, bei welchen: die Volksmassen mit Stöcken in den Händen mitstimmten, und bei welcher Ge­legenheit die zur Sicherheit anfgepflanzte Bürgerwehr sich so furchtsam und machtlos erwies, daß selbst der Ministerpräsident von Pfuel, obschon er jenen: Anträge zugestimmt hatte, dennoch bei den: Assessor Jung seine Sicherheit suchen mußte. Mag dies heute anch unglaublich klingen, ich habe damals mit nieinen eigenen Angen gesehen, wie und von wem die Volks­massen haranguirt wurden; ich habe dabei gestanden, als die Bassermannschen Gestalten mit Fackeln in den Händen die Bürgerwehr in: eigentlichsten Sinne des Wortes ansräucherten, und ich habe mich selbst überzeugt, daß das Schauspielhaus einen: Taubenschlage glich, über welchen: die Habichte der De­mokratie sich in einen: engen Kreise bewegten. Dabei muß jedoch zur Entschuldigung unserer preußischen Abgeordneten daran erinnert werden, daß die Ermordung Auerswalds und Lichnowskis zn Frankfurt a. M. wohl die Besorgnis; recht­fertigte, daß auch zu Berlin einem und den: andern ein ähn­liches Schicksal bereitet werden könne.

'Glücklicherweise war mit diesem 31. Oktober die Geduld der Krone erschöpft und die Antwort war die Berufung des . Grafen Brandenburg zur Bildung eines neuen Ministeriums.

! Die Eröffnung dieser Berufung in der Sitzung vom 2. No-

! vember fiel wie eine Bombe in das demokratische Lager, und ! ich sehe noch heute dcu ersten Eindruck jener Botschaft in den

^ theils erstaunten, theils ängstlichen Gesichtern jener Versamm-

; lung. Nicht allein, daß alle bisherigen Parteibestrebungen auf i eine höchst unerwartete Weise durchkreuzt waren, es waren auch,

! wenn nicht zerstört, so doch in weite Ferne gerückt, die per-

^ sönlichen Hoffnungen und Illusionen aller derer, welche sich nach

! der konstitutionellen Kleiderordnung mit einiger Sicherheit als

^ Pflichterben des Ministeriums Pfuel betrachtet hatten. Man i erwartete eben in jedem Augenblicke ein Ministerium Waldeck, und einige muthwillige junge Leute hatten sich schon längere Zeit den Scherz gemacht, den Schlaf jenes Führers der demo­kratischen Partei wiederholt durch einen per Expreß abgesandten blauen Brief zu unterbrechen, welcher, ausgenommen den In­halt, den bekannten Kabinetsbriefen zun: Verwechseln ähnlich sah.

Wenn man bis dahin noch einige Zweifel darüber gehabt hätte, wie kläglich es selbst um die sogenannte Rechte jener Versammlung bestellt war, so bekam man bei dieser Gelegenheit den untrüglichsten Beweis dafür in die Hand, indem noch an demselben Tage nach einen: fast einstimmigen, also mit wenigen Ausnahmen auch von der Rechten gefaßten Beschlüsse eine Kommission zur Abfassung und Ueberreichung einer Adresse an den König ernannt wurde. In dieser Adresse wurde unter sehr verständlicher Hinweisung auf Ludwig XVI die Zurück­nahme der Berufung des Grafen Brandenburg verlangt, und ein Mitglied jener Kommission, Herr Jacoby, hatte bekanntlich die Dreistigkeit, dem Könige noch mündlich die Erläuterung zn geben, daß es das Unglück der Könige sei, die Wahrheit nicht

hören zu wolle::. Nun hat es allerdings wohl Könige gegeben, welche sich der Wahrheit und selbst den mit blutiger Schrift geschriebenen Lehren der Geschichte verschlossen, doch bestand in jener Zeit das Unglück der Fürsten nicht in ihrer Schwer­hörigkeit, sondern vielmehr darin, daß sie, die Gerechtigkeit ihrer Sache nicht erkennend, nicht den Muth hatten, mit den: Schwerte dafür einzustchen. !

Glücklicherweise waren damals die Verhältnisse schon so ! weit gediehen, daß man vor einen: unabweislichenEntweder ! Oder" sich befand, und daß der politische Muth wenigsteus so weit gestiegen war, um sich vor großen Worten nicht mehr zu fürchten und nöthigenfalls das Schwert in die Wagschaale zn werfen. Da es an erster Stelle daraus ankam, die gemäßigten Elemente der Versammlung vor dem Terrorismus der demo­kratische:: Volksmassen in Berlin zu befreien und die Verbin- ! düng der letzteren mit den Führern der parlamentarischen De­mokratie zu durchschneiden, so erfolgte alsbald der Beschluß, die Sitzungen der preußischen Nationalversammlung nach Branden­burg zu verlegen, ein Beschluß, den: freilich nur die Minorität Folge leistete. Die Mehrzahl der Versammlung verblieb in Berlin, weil sie einmal die Befugniß der Regierung bestritt, eine der- ! artige Translokation einseitig zn verfugen, und weil sie sich so- ! dann nicht darüber täuschte, daß sie ohne die Unterstützung be­waffneter demokratischer Volksmasse:: ihre bisherigen Bestrebungen nicht fortzusetzen und ihre Endziele nicht zu erreichen vermöge.

Aus diesen: Grunde stellten die Znrückbleibendeu sichunter s

den Schutz der Bürger Berlins", koustitnirten sich unter den: >

Vorsitze des Herrn von Unruh als Rumpfparlament, von an­derer SeiteKlub Unruh" genannt, und endigten schließlich damit, in der Zeit vom 12. bis zum 15. November die förm­liche Steuer-Verweigerung zur Bcrathung zu stellen, zu be­schließen und den betreffenden Beschluß zwei Tage später mit Auf­forderung zu dessen Ausführung in die Provinzen zu versenden.

Da ein näherer Bekannter von mir, dessen Namen ich ver­schweige, weil er sich noch am Leben befindet, den Muth hatte, den Sitzungen desKlub Unruh" unter den: Schutze der Legi­timation durch eine Abgeordueteumappe beizuwohnen, so kann ich aus guter Quelle bezeugen, daß die Mitglieder des Rumpf­parlamentes in: Verlaufe ihrer Sitzungen keineswegs die Ruhe und Sicherheit bewahrten, welche sie anfangs zur Schau trugen, daß vielmehr ihre Berathungen recht konfus und stürmisch waren, und daß sie sich sehr entmuthigt fühlten, als ihre Hoff­nung, daß das Land sich wie ein Mann für sie und zu ihre»: Schutze erheben würde, sich so wenig bestätigte, daß selbst ihre Aufforderung zu einen: passiven Widerstande mittelst der Steuerverweigernug sich als ein Schlag in das Wasser erwies.

Bekanntlich war unterdes auchVater Wränget" in Berlin erschienen und hatte die Bürgerwehr bereits zun: größten Theile zu deren eigener Befriedigung von der Last des Soldatenspieles und Wachestehens befreit, eine Operation, die natürlich nicht ohne joviale Intermezzos verlief, zumal der General seinen Auftrag mit so viel Klugheit, Vorsicht und Bonhomie voll­zog, daß es den: richtigen Berliner fast unmöglich wurde, ernst­haft ärgerlich zu werden. Männer, ans deren Munde ich selbst vernommen, daß der Weg zn ihren Gewehren nur über ihre Leichen gehe, waren demnächst nicht zu Hanse und hatten ihren Frauen das diesen sehr erwünschte Geschäft der Ablieferung überlassen, und selbst die Befehlshaber der Wachen bedurften nicht gar langer Zeit zur Berathung mit ihrer Mannschaft, wenn es sich darum handelte, der Aufforderung eines preußi­schen Lieutenants zur Räumung der Wache binnen fünf Mi­nuten Folge zu leisten. Ich habe damals zuerst den Eindruck der Wahrheit eiues Ausspruches bekommen, den ich später aus berühmten: Munde vernommen habe, nämlich,daß man uns auf den: militärischen Gebiete in Europa alles nachmachen könne, nur nicht den preußischen Sekondelieutenant".

Are Jubiläums sänger in Deutschland.

Von Rudolf Kögel.

Nachdruck verboten. Ges. v. 11. VI. 70.

Berlin ist zwar nicht Deutschland, wie einige bescheidene Insassen der Reichshauptstadt meinen, aber doch ein gut Stück davon und zwar ein recht kritisches. Beständen sie, so sagten

XIII. Jahrgang. 11. N*

sich die fahrenden Sänger aus dem befreiten Negervolke Nord^ amerikas, nur erst die Feuerprobe des musikalischen Deutschlands, zumal auf dem spröden Boden der Mark, so hätten sie unter