beweglicheren Theilen unseres deutschen Vaterlandes gewonnen Spiel. Und sie haben gewonnen!
Hören wir im Vorsaal der Berliner Singakademie — die beiläufig erwähnt, das Konzertreferat einer Berliner Zeitung im Verhältnis zu der Negerhochschule in Nashville schmeichlerisch mit einer Scheune vergleicht — beim Ausgang einige Urtheile durcheinander wirren, die sich allerdings wie ein vom Pflock eiligst herabgerissenes Bündel von Garderobe ausnehmen: § Ein älter Herr, der immer in Anspielungen spricht: „Nein,
i die Hitze war wirklich afrikanisch."
! Hinter ihm eine nicht mehr junge Dame: „Gutmüthig
sehen sie aus, nur hätte ich sie mir schwärzer gedacht."
^ Jetzt der Kunstenthusiast: „Welche Schule! Nein, diese
! Tonbildnng! Und welche Seele, welches Feuer! Der Baß
H namentlich sollte bei uns bleiben, er könnte eine europäische
? Berühmtheit werden!"
! Gleich wieder ein richtiger Berliner: „Auf Pharao sind
! diese Leute nicht besonders gut zu sprechen!"
! Dann der Beobachter, der nicht die Säuger, sondern die
Hörer zu mustern Pflegt: „Haben Sie bemerkt, wie viel Pre- ! diger und amerikanische Zahnärzte das Publikum enthielt?"
! Jetzt raunt eine Mutter ihrer Tochter zu: „Welch ein
Hintergrund von Leid, unsäglichem Leid hinter diesen Liedern! Ich habe mich der Hellen Thränen nicht enthalten können!"
Und diesem Eindruck schließt sich Referent ohne Scheu und Weigerung an. Ja, welch ein Hintergrund tiefen Leides und dabei welche Glaubenssreudigkeit dieser trotz Ketten und Peitschen himmelan sich schwingenden, Mühselige und Beladene sauft anfassenden, nun in Freiheit die Welt durchschreitenden . und fortwerbendeu Lieder! Neger sind Kinder und Kinder singen gern. Mit Hilfe dieses Balsams haben sie das Joch zu tragen vermocht. Die Beurtheilung der Technik des wunderbaren Gesanges sowie des Wertstes der Kompositionen überlasse ich Berufeneren — ein Sachkundiger wie Seward will darin Harmonienfolgen entdecken wie die des schottischen Volks- ! liedes. Nur das frage ich: wie? bei dem Gesang: „Stiehl dich zu Jesu", sehen wir da nicht Gestalten durch den nächtigen Wald, über den dunklen Strom huschen, um zur Mitternachtsversammlung der Methodisten zu kommen? „Mein Herz ist schwer, wenn Jesus nicht hilft, sterb' ich gewiß" — dies Lied rührt von dem Vater einer der Sängerinnen her, damit pflegte er sich vom Herzeleid los zu singen, so oft ihn sein grausamer Herr gepeitscht hatte! Um den Wehklagenden „Mein Weg ist wolkenbedeckt!" sammelt sich der Zuspruch theill nehmender Freunde: „Herr, sende deine Engel herab!"
Das ist überhaupt eine fast regelmäßige Eigenthümlichkeit in der Konstruktion: ein Solo klagt, der Chor tröstet. — Dort pilgert ein Zug zum Kirchhof, doch keine Trauermelodie ertönt. Er intouirt: „meine Schwester ist heimgegangen". Antwort: „Engel warten an der Thür!" „Jetzt legt sie ihr Kreuz nieder, jetzt hebt sie ihre Krone auf!" Abermalige Antwort: „Engel warten an der Thür." — Ein Neger beklagt sich: „Gestoßen werd' ich durch eine unfreundliche Welt." — Das chromatisch gesungene: „I'm n i-otlinA" gibt gleichsam all die Stöße wieder! Die anderen verbinden sich in seinem Namen zu dem Ruf: „O Brüder, wollt ihr mir nicht beten helfen?" -- Dabei sind Lieder vorhanden, die zu einer Zeit, da die Negersache noch hoffnungslos war, doch schon ein Hallelujah auf die kommende Befreiung vorwegnahmen. Lieder heiligen Trotzes sogar: „Eile hinab, Moses, laß mein Volk ziehen!" Lieder wieder, die in christlichem Humor in einen „Z-oLMU-niiE einzusteigen einladen, hier brauche niemand zweiter oder dritter Klaffe zu fahren.
Leise beginnen die Lieder, als sähe sich der Anstimmende scheu nach den Drängern und Treibern um, leise verklingt das letzte Wort, als nähme man nur gezwungen Abschied von dem süßen Liedertrost. Hier scheinen sich Gruppen in den Plantagen bei der Arbeit verstohlen ihr Leiden, ihr Erinnern, ihr Hoffen zuzusingen; dort gemahnt es uns, als läuteten den aus der Kirche Heimkehrenden gottesdienstliche Melodien nach! Noch
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heute — das sind nicht Konzerte, welche die Neger geben, das sind Erbauungen, die sie mit unwiderstehlicher Gewalt halten: saugen sie doch regelmäßig mit dem Absingen des Vaterunsers an und schließen regelmäßig mit dem Segen, ähnlich wie die Passionsdarsteller im Oberammergau vor jeder ihrer Aufführungen zur Messe gehen.
Und der Erfolg? Nicht blos der sociale, daß die um ihrer Farbe willen einst Gepreßten, noch nach dem Befreiungskriege aus Eisenbahnhösen, Hotels und Dampfschiffen Verwiesenen nun doch wohl keinen Zweifel mehr an ihrer „Re- spektabilität" erwecken werden, seit ihnen die Königin von England persönlich für ihr Singen Dank gesagt, seit sie bei englischen Herzögen und Lords in bunter, d. h. schwarz-weißer Reihe zu Tisch gesessen, seit ihnen unser Kaiser und das kron- Prinzliche Paar in Leutseligkeit die Hand gedrückt. Jener Amerikaner wird sich längst seiner südstaatlichen Wahrsagerei schämen gelernt haben, in der er behauptete, es könne seine Politische Phantasie sich wohl den kupferfarbenen Indianer als Deputirten in Washington denken, nun und nimmer aber den Schwarzen! Man könnte eher fürchten, die Neger, einst in die Hütten der Schmach geworfen, nun zu den Schlössern und Akademien aller Residenzen erhoben, könnte ein Art Schwindel befallen, wäre nicht durch alle jene düsteren Erinnerungen, namentlich auch durch die anfänglichen Konzertmißerfolge in Nordamerika, vor allem aber durch echtes Christenthum und durch die Trefflichkeit ihrer selbstlosen Führer, des Professors Cravath und des Musiklehrers White für ein sicheres Gegengewicht gesorgt. Der weitere Erfolg — bei Nashville in Tennesee steht heute eine palastähnliche Hochschule für Neger, hunderttausende von Dollars haben unsere selbstlosen Sänger dafür zusammengesungen, zehntausende farbiger Kinder sind schon durch dort gebildete Lehrer unterrichtet worden. Dieser Heißhunger zum Lernen und Lehren
— er ist der beste Beweis für die „Culturfähigkeit der schwarzen Raffe", er ist an sich schon ein Sieg der Humanität! Noch wollen die Sänger nicht ruhen. Mit orpheischer Kunst fügen sie jetzt die Steine zu einem Missionshause zusammen, das schwarze Missionäre nach Afrika zu ihren weiland Landsleuten entsenden soll. Sind die Lieder einst die Mittel gewesen, die Sklaverei geduldig zu tragen, nun wandeln sich dieselben in ein siegreiches Mittel, fremde Ketten zu brechen! Der afrikanische Sendbote Mosfat hat schon vor vielen Jahrzehnten behauptet: „Afrika wird sich für das Evangelium durch Europäer nur halb, ganz wird es sich den Nationalangehörigen aus seiner eigenen Mitte erschließen!"
Räthselhafte Wege der Völker! Das, was wir „Völkerwanderung" nennen, zeigt das ewig denkwürdige Schauspiel, daß ein Stamm den anderen trifft, drängt, vor sich hertreibt. Eine neue Mischung der Nationen, eine neue Vertheilung der Weltkarte entsteht. Scheint diese „Wanderung" die Frucht gewaltiger Natnrinstinkte: die moderne Völkerwanderung, die seit vielen Jahrzehnten bedeutende Brnchtheile unserer deutschen Landsleute dem Sternenbanner der Vereinigten Staaten zugeführt hat, arbeitet mit der Reflektion, mit Agenten und Reklame und steht doch nicht weniger unter einem höheren Zuge. „Westwärts zieht der Stern des Reiches," wie der englische Dichter sagt. Hier aber in der Geschichte der Neger zeichnet sich ein völlig neues Bild ab. Tausende von unglücklichen Schwarzen aus dem Innern Afrikas sehen wir in Schisse gepreßt, zum Westen geschleppt, dem Hohn der Weißen, der Peitsche des Treibers preisgegeben, bis zum Wahnsinn verwirrt durch die Tröstung, dies alles geschehe durch die Hand christlicher Civilisation. Wir sehen sie zu vier Millionen anwachsen, aber immer noch rechtlos mit Kind und Kindeskind, eine Waare des Marktes. Da -- „Onkel Toms Hütte", dies Buch ist nur ein prophetischer Trommetenstoß — sprengt ein großer Krieg die grausame Bande. Jenes Halljahr — wie Luther übersetzt
— das Jubeljahr der Freilassung erscheint. Mag nun ein Theil der über Nacht Freigegebenen das Geschenk der Freiheit nicht recht zu würdigen wissen, ja am Mißbrauch derselben zu Grunde gehen — hier in den „Jnbilänmssängern" stehen die Repräsentanten der Neger vor uns, die kindlichen Sinn mit nordamerikanischer Thatkraft verbinden, die sich ans die