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Heimat ihrer Väter besinnen, nin dem Volk „der dunklen Herzen" das lichte Evangelium zu bringen: Befreite als Befreier! Livingstone u. A. sind die Pioniere, welche die Straßen durch Afrika bahnten, und die Jubiläumssänger singen die
Mittel zusammen, um jene ueugeschaffenen Pfade mit Missionszügen zil bevölkern. Der Portugiese hat Recht mit seinem Sprichwort: „Gott versteht auch ans krummer Linie gerade zu schreiben!"
Iranz Lenöach.
Von Karl Ztirlrr.
Nachdruck verboten. Ges. v, 11./VI, 71».
Fast aller Reiz, den wir mit dem Begriffe altbairischer Landschaft verbinden, ist dahin, sobald wir einmal jene große Hochebene betreten, die sich über München hinaus einförmig gegen die Donau zieht. Der Boden ist kahl, im Klima fühlt man den Einfluß der naheliegenden Möser, und der Volksschlag entbehrt jener Anmuth und Beweglichkeit, die der oberbairische Stamm in den Bergen hat. Es fehlt der unbewußte Zauber, den eine schöne großartige Natur auf die Entwickelung ihrer Bewohner übt; nicht die originellen und anziehenden Eigenschaften, sondern vielmehr die Härten des bajnvarischen Wesens haben sich hier im Volkscharakter verdichtet nnd geben ihm jenes massive Gepräge, das sich in Brauch und Tracht, in Wort und That bekundet.
Und doch nennt gerade jene Gegend, die für künstlerische Anregung so arm ist, einen Künstler ihr eigen, dessen Persönlichkeit in mehr als einem Sinne international geworden. Nicht nur dadurch, weil er in allen Ländern seinen Ruhm fand, daß die Größen aller Länder seinen Pinsel suchen, sondern vor allem deshalb, daß er es wie kein anderer verstanden hat, sich in den Geist fremder Kunst hineinznleben nnd ihn schöpferisch wieder- zngeben. Seine Reproduktionen der vlämischen, der spanischen und italienischen Meister sind mehr als Copien; sie bieten uns nicht nur ein Bild, sondern das ganze Ingenium einer Epoche, einer Persönlichkeit.
Aus der engen Scholle altbairischer Besonderheit also fand Lenbach seinen Weg in die Welt, deren Licht er am 13. Dezember 1836 erblickte. Sein Vater war Maurermeister in dem kleinen Marktflecken Schrobenhansen, nnd kannte das alte Wort: „Handwerk hat goldenen Boden". So war es denn nur natürlich und wohlgemeint, daß er auch seinen Sohn der eigenen Zunft bestimmte; er sollte freilich nicht blos mit der Kelle lernen, sondern die gelverblichen und technischen Schulen besuchen, aber das letzte und praktische Ziel diese-? Lernens blieb doch immer der väterliche Berns. Die blanke brotlose Kunst um ihrer selbst willen zu treiben, mußte nach den Begriffen jener Tage vermessen scheinen, und es wäre Thorheit, wenn wir es heute einem redlichen Manne verargen wollten, daß er damals also gedacht.
In der Seele des Knaben freilich dämmerten schon damals andere Gedanken — wenn man den keimenden Drang eines unbewußten Talentes, wenn man die halbklare Sehnsucht nach edlerem Thun ein Denken nennen will. Er sah in Landshut, wo er die gewerbliche Schule besuchte, jene schöne gothische Martinskirche, durch deren Fenster geheimnißvolles Licht drang, dieweil die flutenden Orgeltöne klangen; er sah in Augsburg, wo er das Polytechnikum bezogen, jene reizenden Architekturen der Renaissance, er kam von dort nach München nnd stand vor den klassischen Werken unserer Sammlungen. Da fühlte er es zuerst, daß auch die Kunst eine Macht ist.
Wer könnte es in reifen Jahren jemals sagen, wie das wunderbare Gewirr solcher Eindrücke sich in einer jugendlichen Seele verschlingt, wie die Empfindungen sich verketten, wie dies und jenes plötzliche Gefühl gleich einem Sonnenstrahl ans ties- gelegene Keime trifft und sie hervorlockt zum Licht! Diese Stufe der Entwickelung, dieser wunderbare Proceß des ersten inneren Werdens, das bleibt für jede Seele ihr eigenstes Ge- hcimniß — es gibt kein Wort dafür. Dann aber kommt der Drang zur That und das Bedürfniß, mit bestimmter Individualität nach außen dnrchzubrechen.
Schon daheim, mit zwölf und fünfzehn Jahren, als er noch das Schurzfell trug nnd feinem Vater bei der Arbeit half, füllte Lenbach alle freien Stunden mit Malen aus. Wir legen Nachdruck auf dies Wort, denn es ist charakteristisch für seine gesummte spätere Entwickelung: er zeichnete nicht, er malte.
Nie hatte ihm jemand gesagt, wie er es anfangen sollte, um mit Pinsel und Palette fertig zu werden; er hatte von der technischen Bedeutung und Behandlung der Farbe noch keine Ahnung — aber die Farbe gelang, und brachte das zum Ausdruck, was er damit anssprechen wollte. Es waren zur Mehrzahl Porträts aus seiner eigenen Familie und aus der Nachbarschaft, und noch heute überraschen sie uns durch die Entschiedenheit ihrer Auffassung, durch die Schärfe der Charakteristik, und durch die Leichtigkeit, womit sie gemacht sind. Es war ein Können ohne Lernen. Lenbach, dessen Werke jetzt um viele Tausende erworben werden, erhielt damals für jedes dieser Bilder einen Gulden, und er dünkte sich reich in diesem Bewußtsein; mehrere derselben schmücken noch heute die Wand seines vornehmen Ateliers. Das fesselndste unter ihnen ist aber ohne Zweifel sein eigenes Bildniß. Der scharf modellirte Kopf, den man noch jetzt sofort erkennt, zeigt uns einen halbgewachsenen, schmächtigen Jüngling, der fast mürrisch in die Welt blickt; wenig Gewinnendes spielt um dies herbe kühle Angesicht; aber er will auch nicht gewinnen, er will seinen eigenen Weg gehen ohne fremde Hilfe und Huld, ohne Rücksicht auf die Menschen und das Herkommen. So sicht uns dies Bildniß an — man fühlt, cs ist der schlagendste Ansdruck individueller Stimmung.
Natürlich war jenes Rialen, wie Lenbach es damals draußen übte, ohne alles System; in seinem ganzen Wesen lag ja ein heimlicher Widerwille gegen das, was wir Schule nennen, sein ganzes Talent, das so scharf der realen Natur ins Auge sah, sträubte sich gegen eine kritische Auswahl, gegen ein eon- ventionelles Abwägen seiner Motive. Er malte einfach, was ihm malenswerth erschien, ob es auf zwei oder vier Füßen stand, ob es schön oder häßlich war, er heischte von niemandem Rath nnd Lob.
Der einzige, welcher auf seine künstlerischen Gedanken und Arbeiten Einfluß hatte, war der Maler Hofner, der auch ans jener Gegend stammt, und vom Hüterjungen den Weg zur Staffelet gefunden hatte. Er zählte zu den frühesten und begabtesten Mitgliedern der damals entstehenden Pilotyschule, und ermunterte Lenbach, sich ebenfalls dem gründlichen Studium der Kunst auf der Münchener Akademie zu widmen.
Kurz vorher war sein Brnder, der auch eminente künstlerische Anlagen verrieth, mit neunzehn Jahren gestorben; und als nicht lange darauf der Vater folgte, da nahm denn Lenbach sein kleines Erbtheil und machte sich ans den Weg zur hohen Malerschule. Es waren die gewöhnlichen Klassen und Kurse, die er wie alle anderen besuchte, ohne daß seine Arbeiten vor den anderen ins Auge fielen — erst dann suchte er sich selbst seinen Lehrer. Piloty war damals selber kaum dreißig Jahre alt, und nannte kaum zwei bis drei Schüler sein eigen, aber die feurige nnd selbstbewußte Energie, die durch das Wesen des jungen Meisters flammte, übte sofort einen mächtigen Reiz ans Lenbachs stummes Talent, das noch unentschlossen und unbefriedigt vor der Wahl seines Weges stand. Die franke freundschaftliche Art, wie Piloty den Jüngeren entgegentrat, mußte gerade solchen verschlossenen wortkargen Naturen wohlthun, die das Bedürfniß haben, verstanden zu werden, ohne daß sie sich selber erst erklären sollten.
Für ihn war Piloty der rechte Mann, mit seinem intuitiven Blick; er war der rechte Lehrer für solche Schüler, denen der Begriff der Schule eigentlich widerstrebt. Wenig mittheilsam, wenig umgänglich, wie Lenbach war, athmete er doch auf in dieser Luft begeisterter Gemeinschaft, wie sie die kleine Schar durchwehte, in jener Strömung strebender Arbeit. Es ist nur ein geringfügiger Zug, den wir hier mitthcilcn wollen, aber