Heft 
(1878) 11
Seite
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er ist für die Hingebung, womit jene Schüler arbeiteten, viel­leicht bezeichnender als lange Erörterungen. Lenbach malte gerade einen bäuerlichen Studienkopf, und Piloty meinte, es wäre vielleicht nicht übel, wenn der Mann ein rothes Brust­tuch trüge, aber wo war in der Stadt dergleichen zu beschaffen? Doch als die Arbeit abends geschlossen war (es war im tiefen Winter), da machte sich der junge Lenbach auf den Weg, und ging zu Fuße nach Schrobenhausen er ging die ganze volle Nacht, und als am Morgen Piloty wiederkam, da saß das Modell auf seinem Stuhle mit dem rothen Brusttuch angethan; ohne ein Wort zu verlieren, malte Lenbach dort weiter, wo er gestern aufgehört.

Freilich sorgte auch der Lehrer selbst für den Erfolg und das Gedeihen seiner Jünger, wie nur jemals ein Lehrer sorgen konnte; es war ihm gelungen, ein kleines Reisestipendium zu erwirken, und als er 1858 nach Italien ging, ward der junge Altbaier sein Begleiter. Schrobenhausen und Rom liegen weit auseinander (nicht nur wenn man die Meilen zum Maßstab nimmt); und der Eindruck, den diese klassische Welt auf ein Künstler au ge machen muß, ist ja in allen Fällen von der tiefsten Bedeutung. Aber ebenso verschieden ist doch die Art, wie dieser Eindruck nun im Menschen wirksam wird, wie der einzelne genießt und ringt, um sich mit dieser neuen Welt aus­einanderzusetzen, um die Wucht derselben geistig zu bewältigen.

Auch hier bethätigte Lenbach dieselbe Zurückhaltung, die ein Grundzug seiner Natur ist, es entging ihm sicher keine Linie von all der Schönheit, die vor ihm aufgeschlossen lag, aber sie erschien ihm (nach seinen eigenen Worten) wie etwas Selbstverständliches; es war keine Ekstase, keine Revolution in seinem Herzen und seiner Kunst. Er stand auch hier der realen Natur gegenüber, und nahm sie hin, als müsse sie so sein.

Neben zahlreichen Studienköpfen, die er damals nach be­kannten römischen Modellen malte, entstand auch ein größeres Bild, das uns den Titnsbogen zeigt, im Vordergrund mit reicher ländlicher Staffage. Die ganze Glut des Südens athmet darin, aber nicht süß und schwärmerisch, wie es sonst bei italienischen Motiven gebräuchlich scheint, sondern jene wirkliche Glut, wie sie ans Staub und Sonnenbrand, aus brütendem Himmel und lechzender Erde uns anhaucht. Der Besitzer des Bildes, um das sich Bewunderer und Verächter lange stritten, ward Graf Palffy in Pest.

Bei der Begründung jener Kunstschule, deren Direktor Piloty werden sollte, hatte auch Lenbach einen Ruf nach Weimar erhalten; allein daß dies nicht der rechte Boden für seine Per­sönlichkeit war, trat rasch zu Tage. Unendlich wichtiger dagegen ward für ihn ein anderer Ruf, der zwar nicht von einem Throne, aber doch von einem Manne kam, welcher in fürstlichem Sinne Mäcen war. Freiherr von Schack, der Begründer jener klassischen Galerie in München, der geniale Interpret orienta­lischer Dichtung (den der deutsche Kaiser erst vor kurzem in den Grafenstand erhob), hegte den Wunsch, in seine Sammlung einige Copien venetianischer Meister aufzunehmen, und betraute mit dieser schwierigen Aufgabe den jugendlichen Maler Lenbach, für den ihn Paul Heyse zu interessiren wußte. Denn früher als alle anderen hatte der feinsinnige Poet das eminente Talent erkannt, das hier hinter schroffen Formen verborgen lag, und seinem beweglichen Geiste, der eine seltene Gabe der Assimilirnng besitzt, war es leicht geworden, jene Gegensätze auszugleichen, die naturgemäß in dem Lebensgange der beiden lagen. Heyse gebührt das Verdienst, daß er Lenbach zuerst mit jenen Kreisen in Fühlung brachte, die ihn geistig und gesellschaftlich fördern konnten; aber geradezu bewunderungswürdig bleibt es dabei, wie sicher und unverrückbar Lenbachs Individualität sich diesen Einwirkungen gegenüber erwies. Mit einem durchdringenden Scharfsinn faßte er die Menschen auf, und lernte er an den Dingen, die ihn umgaben; aber an seiner eigenen Natur hat er nie das geringste Zugeständniß gemacht. Er schmeichelte keinem um des Beifalls willen; er wollte niemals mehr er­scheinen, aber er fühlte sich auch niemals, selbst in der celebersten Luft, geringer als er wirklich war. Unverhohlen gab er seine Meinung ab, wo es ihm daran gelegen schien, und stundenlang blieb er stumm, wo er nicht sprechen wollte; nie ließ er sich

herbei, aus Berechnung, aus Gefälligkeit zu reden oder zu schweigen. So blieb er immer ganz er selbst, und was die Menschen weiter dazu dachten, schien ihm gleichgültig zu sein.

Als die ersten Copien für Schack in München sichtbar wurden, da war ihr Eindruck überwältigend, der Künstler selber verschwand fast völlig hinter seinem Original es war nicht Lenbach, es war Tizian, den man zu sehen glaubte. In Venedig traf der junge Künstler dann mit seinem Gönner zusammen, und bereiste mit ihm die romanischen Länder und einen Theil des Orients; der Gewinn, der seiner Kunst daraus erwuchs, ward nie in Worten, aber in Werken sichtbar, und ward in jener Reihe von Bildern verewigt, die wohl für allezeit das Muster klassischer Copien bieten.

Als der Waffenlärm von 1866 begann, war Lenbach eben in Florenz; über Deutschland und Italien brauste der Sturm des Krieges, und es war damals keine leichte Sache, aus der Stadt der Medicäer in die Jsarheimat zu gelangen. Alle Schienen waren verlegt; nur mit knapper Noth gewann der deutsche Maler auf einem Zuge, der Garibaldische Truppen führte, die Grenze, um durch die Schweiz nach München zu eilen.

Die Heimat! sie hatte sich bis jetzt nur kalt und spröde gegen Lenbach erwiesen; sie haßte jede Neuerung; aber all­mählich kam doch auch hier die Zeit, wo man achtsam ward auf den genialen Coloristen, wo der Prophet begann, im Vaterlande zu gelten.

Die Bilder, welche Lenbach aus Madrid nach Hause ge­bracht (Copien nach Tizian und Velasquez) erregten Ver­blüffung; auf der Pariser Weltausstellung von 1867 hatte er die große Medaille erhalten, und ein Porträt des Malers Hagn, das auf dem Münchener Kunstvereine zu sehen war, hatte solchen Erfolg, daß es selbst den Gegnern Anerkennung abzwang. Es war ebenso klar und bestimmt in den Formen, als fein im Colorit, es hatte nichts von jenen geheimnißvollen Tönen, die nur der Maler zu würdigen weiß, sondern es war ein Bild, das auch der Laie verstehen konnte, verstehen mußte.

So hatte Lenbach erst den Boden betreten, der seiner ganz besonderen Kraft recht eigentlich homogen war wir meinen das Porträt, das eine volle Individualität in ihrer äußeren und noch mehr in ihrer geistigen Erscheinung erschöpft. Darauf warf sich bald seine volle Kraft, und diese Kraft wuchs mit den Zielen, die er sich vorgesetzt seine bedeutendsten Bilder sind die bedeutendsten Männer der Zeit! Im Anfänge war es nur ein kleiner, fast exclusiver Kreis, der seinem Pinsel Vertrauen schenkte; er uralte die jugendschöne Frau Paul Heyses, den genialen Componisten Hornstein, das Bildniß Schacks, Piloty und seine holde Hausfrau das Publikum aber wun­derte sich noch immer, wie man den Muth haben könne, sein Conterfei in so räthselhaften Farben der Nachwelt zu hinter­lassen. Bald aber wandelten sich die Zeiten, der Berühmtheit folgte mehr und mehr das Verständniß, und wo das wahre Verständniß fehlte, da ward es simulirt, denn es gehörte in kurzer Zeit zum guten Ton in den Salons der deutschen Ari­stokratie und der Wiener Millionäre, sich von Lenbach malen zu lassen. Ohne daß er es wußte, und wohl noch sicherer, ohne daß er es wollte, war Lenbach Mode geworden; er, der mit geringschätziger Gleichgültigkeit über alles Moderne, über all die täglichen Huldigungen und das Gold hinwegsah, das ihm jene Tage brachten. Zahllose Porträts sind während jener Jahre von 1871 73 entstanden, und wenn Wohl auch keines darunter ist, das seines eigenen Namens unwerth wäre, so mag es doch die Frage bleiben, ob jeder dieser ephemeren Crösusse es Werth war, von solchen Händen verewigt zu werden!

Die Zeit, die alles berichtigt, zog auch hier die richtige Schranke, als die große Wiener Katastrophe kam und Hunderte von singirten Millionen vernichtete. Schon von Anfang an hatte es Lenbach (nach seinem ganzen Wesen) vorgezogen, Menschen darzustellen, in denen sich eine bedeutsame Persönlich­keit verkörperte; sein beispielloses Talent geistvoller Jndividua- lisirung verlangte nach einem Stoffe, der ihm vollen Spielraum gab, und nicht der Adel der Geburt und die Aristokratie des Geldes, sondern die geistige Aristokratie allein bot ihm dafür die edelsten Motive. Er ist, wie kein anderer in unseren Tagen,