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die Rheinprovinzen besetzte. Solch ein Bundesbeschluß ist aber gar nicht unmöglich, wenn man die Theilnng Badens zu Gunsten Baierns, Würtembergs und Hessen-Darmstadts zugibt, Sachsen seine alte Lande wieder zutheilt rc."
„Ein König oder Kaiser in Frankreich führt zur offenen Allianz mit den alten Rheinbundsfürsten, die nur durch den Dualismus in Deutschland, verbunden mit der Einigkeit Preußens und Oesterreichs, niedergehalten wurden."
Ueber die Politik Englands und Deutschlands Stellung zu diesem, ist es nicht nöthig viele Worte zu machen. Nachdem es überall seine Hand im Spiel gehabt, um unter den, gleißnerischen Aushängeschilde der Freiheit, Humanität und Civilisation die revolutionären Bewegungen auf dem Kontinent zu schüren und mittelst des bekannten Aeolusschlauches des Ministers Canning zu Hellen Flammen anzublasen, hat es auch später überall das möglichste gethan, die Kräftigung und Neu gestaltuug Deutschlands zu hindern und jeden Aufschwung der Industrie, des Handels und insbesondere der Marine Deutschlands unmöglich zu machen. Korn und Baumwolle, das waren und bleiben die beiden Herzkammern der englischen Staatskunst, und nicht Ideale und Prinzipien, sondern lediglich die materiellen Interessen des englischen Staates waren auch die Leitsterne seiner äußeren Politik. Deutschland hatte deshalb auch von England nichts zu hoffen, als eine Fortsetzung jenes Jntriguenspiels und eine Verständigung desselben mit Frankreich, um in dieser Gemeinschaft um so sicherer die alten Grundlagen Europas erschüttern zu können.
Leider muß dem Ministerium Manteuffel der Borwurf gemacht werden, daß es diese Situation nicht mit genügender Klarheit durchschaute und daß es deshalb unterließ, an Stelle der von ihm beseitigten falschen Zielpunkte positiv bessere hin- zustellen und zu verfolgen. Es war dies um so mehr zu beklagen, als das Ministerium des Auswärtigen inzwischen in die Hände des Ministerpräsidenten selbst übergegangen war und daher die Verantwortung für begangene Fehler auf niemanden anders abgewälzt werden konnte. Das „muthige Zurückweichen des starken Preußen um einen Schritt" nahm dadurch allmählich solche Dimensionen an, daß wir am Ende des Krimkrieges nicht ohne Mühe der Demüthigung und Gefahr entgingen, von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen und so gewissermaßen aus dem goldenen Buche der europäischen Großmächte gestrichen zu werden. Daß hierfür Herr von Manteuffel nicht allein, ja vielleicht nicht einmal an erster Stelle verantwortlich gemacht werden darf, ist mir zur Genüge bekannt. Ich habe in dieser Beziehung bereits früher auf die völlige Disziplinlosigkeit innerhalb der preußischen Diplomatie aufmerksam gemacht. Man schrieb mir darüber seinerzeit aus Frankfurt a. M.: „Be- neidenswerth ist die Disziplin, welche in Oesterreich und seinen Vertretern, alles was vom Kaiser bezahlt wird, nach sicherem Takt sich bewegen läßt. Bei uns singt jeder seine eigene Melodie, verleumdet den anderen und schreibt Spezialberichte nach Berlin. Wir haben hier wenigstens drei Civil- und zwei Militärdiplomaten neben einander." Glücklicher Weise ist dieser Mangel jetzt abbestellt, und es war eben der Fehler des Herrn von Manteuffel, daß er sich nicht entschließen konnte, fest in dies Wespennest zu greifen.
Es war ein ähnlicher Fehler, an welchem die innere Politik des Herrn von Manteuffel krankte, indem man auch hier je länger desto mehr sich dabei beruhigte, die Anläufe der revolutionären Partei einstweilen zurückgeschlagen zu haben, anstatt frisch Hand anzulegen, die Wiederkehr derartiger Erschütterungen und Excesse unmöglich zu machen.
Man kann leider nicht in Abrede stellen, daß das Ministerium Manteuffel im Verlaufe seines Wirkens je länger desto mehr einem absolutistischen Bureaukratismus anheimfiel und die Entwickelung Preußens dadurch in falsche Bahnen leitete, daß es das Beamtenthum in Hellen Haufen in die Volksvertretung einführte und dadurch beides: die Volksvertretung durch Fernhaltung der eigentlich zur Repräsentation berufenen Elemente, das Beamtenthum aber durch Begünstigung des Streberthums in den Kammern der Gefahr der Korruption aussetzte. Man erinnert sich hierbei der wechselsweise von beiden Seiten ge
brauchten Bezeichnungen: Landraths- und Kreisrichterkammer, sowie der Thatsache, daß eine Zeitlang das Ministerium sich unter der Direktion des Polizeipräsidenten von Berlin befand.
Der eigentliche prinzipielle Inhalt der revolutionären Bewegung in Preußen aber war das Auftreten der „industriellen Gesellschaft" und deren Versuch, ihre Postulats in der Gesetzgebung und Verwaltung des Staates zu realisiren, wobei selbstverständlich der ganze Spektakel über Verfassungsparagraphen nur Mittel zum Zweck und ein populäres Auskunftsmittel war, der Masse der Bevölkerung über die eigentlichen Zielpunkte der Bewegung Sand in die Augen zu streuen. Wer hierüber damals noch zweifelhaft gewesen ist, dem wird hoffentlich die Entwickelung der Neuzeit zu einer besseren Erkenntniß verholfen haben.
Es war deshalb auch durchaus nicht von ungefähr, wenn man plötzlich große Fabrikanten, Handelsherren und Geldmänner Hand in Hand mit ihren Gesinnungsgenossen aus der höheren Bureaukratie auf den Ministerstühlen erblickte. Man spielte damit nur den ersten Akt der großen Tragödie, von welcher in Paris mit der Februarrevolution bereits der dritte Akt aufgeführt wurde.
Leider aber schien man schon damals die Märzbewegung nicht als den ersten Akt einer sünsaktigen Tragödie, sondern vielmehr als ein einaktiges Lustspiel zu betrachten und zwar waren, wie Scherenberg sehr richtig sagt, nachdem die Gefahr vorüber war, diejenigen die lautesten und tapfersten, welche sich vorher am meisten gefürchtet hatten.
Welche Rolle die preußische Bureaukratie in und nach den Märztagen gespielt hat, darüber will ich mich einstweilen eines eingehenderen Urtheils enthalten, da die Thatsachen der neueren Geschichte selbst laut genug sprechen und auch das Ministerium Manteuffel gleich bei Uebernahme der Geschäfte darüber nicht in Zweifel gelassen war.
Wenn dasselbe also nichtsdestoweniger, sobald der erste Sturm vorüber war, die Bureaukratie als seine Hauptstütze betrachtete, so schlug es damit einen Weg ein, auf dem es nothwendig mit seinen besten Absichten scheitern und schließlich selbst zu Grunde gehen mußte, besonders nachdem mit der Person des vielgenannten „Goldonkels" dasjenige Element in die Regierung eingeführt war, welches zur Machtergänzung unentbehrlich erschien. Herr von Manteuffel wird darum wahrscheinlich heute auch verstehen, weshalb bei dem endlichen Rücktritt seines Ministeriums Herr von der Heydt auf der Bühne verblieb und es wohl verstand, die „Aera Manteuffel" in die „neue Aera" hinüberführen zu helfen.
Es war dies alles um so bedauerlicher, als Herr von Manteuffel auf der Höhe seiner Stellung alles durchzusetzen vermochte, ohne damit irgend wesentlichen Anstoß zu erregen, und es wäre gerade ihm dies um so leichter gelungen, als er eine besondere Geschicklichkeit darin besaß, sowohl eine Einwirkung auf die Wahlen auszuüben, als auch die Abstimmungen der Kammern selbst in kaum merkbarer Weise durch geschickte Mittelspersonen zu beeinflussen. Ich habe mich damals wiederholt davon überzeugt, daß Herr von Manteuffel sich in der Lage befand, jede Abstimmung vorher bis auf zwei oder drei Stimmen genau zu berechnen, so daß er, wie dies später vielfach geschehen ist, kaum jemals durch eine Abstimmung überrascht wurde.
Daß diese Haltung des Ministeriums Manteuffel auch aus sein Berhältniß zu den verschiedenen Parteien nicht ohne Einfluß blieb, versteht sich von selbst.
Namentlich vollzog sich innerhalb der bisher regierungsfreundlichen Partei die Sonderung in eine ministerielle und eine prinzipielle Fraktion, von denen die letztere dem Herrn von Manteuffel mit der Zeit unbequem und damit auch unliebsam wurde, wenngleich ein förmlicher Bruch dadurch verhindert blieb, daß man sich gegenseitig noch nicht entbehren zu können meinte und nur ein Bruchtheil der prinzipiellen Fraktion weitsichtig genug war, um die Nothwendigkeit eines Ministerwechsels zu begreifen. Man tröstete sich damals mit der, leider als illusorisch erwiesenen, Hoffnung, durch die größere parlamentarische Begabung und Gewandtheit, sowie durch die