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größere Arbeitslust und Arbeitskraft der Stimmenmehrheit der ministeriellen Fraktion das Gegengewicht halten und der inneren Politik allmählich eine andere Richtung geben zu können. Man war damals eben noch nicht darüber im Klaren, daß auch die begabtesten und rührigsten Kammerredner nur dadurch einen nachhaltigen Einfluß ausüben, daß sie gewisse dauernde gesellschaftliche Interessen und Mächte rspräsentiren, wie sich dies in neuerer Zeit besonders dadurch handgreiflich herausgestellt hat, daß die eigentlichen Kammerverhandlungen nur noch ein llors ä'osuvrs und ein Spektakelstück für das größere Publikum sind, während die Hauptsache vorher in den „Fraktionen", d. h. den politischen und sozialen Interessengruppen erledigt und festgestellt wird. Man erinnert sich hierbei unwillkürlich an den Ausspruch jenes Louis Philippinen Deputirten, welcher von einer glänzenden Rede sagte: „Es ist möglich, daß sie meine Ansicht ändert, aber niemals mein Votum."
VIII.
Gestatten Sie mir zum Schluß, noch einige Silhouetten der in der preußisch-deutschen Bewegung besonders hervorgetretenen Persönlichkeiten anzusügen, soweit ich solches ans persönlicher Kenntniß vermag. Es wird dies manche Ereignisse besser verstehen lassen, als eine längere und für manche vielleicht langweilige Kritik. Als bester Anknüpfungspunkt hierfür bietet sich mir das Erfurter Parlament, da hier, nachdem der erste Sturm verflogen, die betreffenden Personen bereits ihr natürliches Gleichgewicht mehr oder weniger wieder gewonnen hatten und deshalb nicht mehr auf dem tragischen Kothurn, sondern hin und wieder sogar schon auf Socken einher schritten.
Unzweifelhaft war dort neben dem preußischen Kommis- farius von Radowitz, dem Herrn von Bodelschwingh und dem Präsidenten Simson der Professor Stahl die hervorragendste und gefeiertste Persönlichkeit, neben welcher selbst Heinrich von Gagern, der nur noch als parlamentarischer Leichenbitter erschien, und noch mehr die übrigen ähnlichen Berühmtheiten entschieden in den Hintergrund traten. Freilich konnte auch Stahl in der praktischen Politik den Professor nicht ganz verleugnen, wie er denn überhaupt eine Persönlichkeit war, welche sich mit Vorliebe in dem Reiche der Gedanken bewegte und tatsächliche Berührungen mit der rauheren Wirklichkeit gern mied. Es war dies indes bei ihm durchaus kein Mangel an Entschlossenheit, im Gegentheil besaß er einen Fond von moralischem Muth, der ihn stets unbeirrt sein Ziel verfolgen ließ; es war vielmehr eine gewisse Scheu, wenn ich mich so ausdrücken darf, das bekannte oäi protünnm. vnIZns öl g-reeo ins Politische übersetzt. Dieser Stimmung Stahls war die Erfurter Atmosphäre besonders günstig, und ich habe deshalb auch persönlich den Eindruck gehabt, daß Stahl sich in den dortigen parlamentarischen Kämpfen mit einer Behaglichkeit bewegte, wie kaum jemals später wieder. In der That unterschied sich auch das Erfurter Parlament sehr vorteilhaft von anderen durch das maßvolle Auftreten seiner durchweg gebildeten Mitglieder.
Bei der Vertagung des Erfurter Parlaments wurde ihm von Mitgliedern der beiden Häuser, des Staatenhauses und des Volkshauses, ein Album gewidmet, welches auch heute noch nicht ohne Interesse ist. Da mir eine Copie dieses Albums zur Verfügung steht, so wird es vielleicht zur Charakteristik beitragen, wenn ich von einigen der hervorragenderen Persönlichkeiten deren Widmung folgen lasse:
Darum ist unsere Losung nicht: Bundesstaat um jeden Preis, sondern Unversehrtheit der preußischen Krone um jeden Preis.
Erfurt, den 24. April 1850.
von Bismarck-Schönhausen,
Abgeordneter für Brandenburg.
Die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sonne immer und ewiglich.
Ernst Ludwig von Gerlach.
Einen aufrichtigen Dank zoll' ich gern dem Liberalismus,
Daß er mit spitzigem Stein Funken entlockte dem Stahl.
G. Scheibert,
Abgeordneter für Stettin zum Volkshanse in Erfnrt.
Ein eng Gewissen und ein weites Herz.
Cranz,
Konsistorialrath zu Posen, Abgeordneter zum Bolkshanss.
Des Weisen Zunge machet die Lehre lieblich. Eine heilsame Zunge ist ein Baum des Lebens. Sprüche Salom., Kap. 15.
Zur Erinnerung an seinen stets königlichen, nie parlamentarischen, herzlichen Verehrer. von Röder,
Abgeordneter znm Volkshanse für die Kreise Ostrowo-Krotoszin.
Ein edler Mensch zieht edle Menschen an und weiß sie festzuhalten. (Goethe, Tasso.) Hermann Graf zu Lynar,
Abgeordneter der Provinz Brandenburg.
Der, dessen Verheißungen alle Ja und Amen sind, spricht: „Wer an mich glaubt, von dessen Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen."
In herzlicher Dankbarkeit über die Bewahrheitung dieses Wortes an Ihnen selbst, zur freudigen Stärkung in den noch bevorstehenden Kämpfen und zur freundlichen Erinnerung an den Ihnen in Liebe und Verehrung ergebenen G. von Kleist-Retzow,
auf Kieckow bei Belgard in Pommern,
Mitglied des Staatenhauses.
Preußens Bestimmung — Deutschlands Einigung.
Zur wohlwollenden Erinnerung an Ihren treuen Verehrer
George Wilhelm Heinrich Calow,
Abgeordneter für Soran-Gnben.
Recht muß doch Recht bleiben.
Otto Carl Frh. von Manteuffcl.
Landrath z» Luckan, Mitglied des Bolkshauscs.
Die Zukunft gehört dem Rechte und seiner Vertreterin, der Rechten. Denn Recht muß doch Recht bleiben immerdar.
P. F. Reichensperger, Abgeordneter für Geldern.
Es gilt hier nicht blos, einen Konflikt mit Europa zu vermeiden, es gilt etwas Positives und Höheres; es gilt mit einem Worte, die umgeworfene Säule des Rechtes in Deutschland wieder aufznrichten.
Adolph Prz. Hohenlohe, Abgeordneter ans Schlesien.
Ich fürchte nicht die akute Krankheit der Demokratie, ich fürchte die chronische Krankheit des Liberalismus.
Frhr. von Senden,
Sberregiornngsrath bei der königl. Regierung in Köslin, Abgeordneter sür das Volkshaus.
In etwas anders verhielt es sich mit dem General von Radowitz. Herr von Radowitz, äußerlich ein sehr stattlicher Mann und eine imposante Persönlichkeit von unzweifelhafter geistiger Begabung, bewegte sich, nach seiner in oratorischer Beziehung meisterhasten Eröffnungsrede zu schließen, auch in Erfurt noch in der Illusion, die Einigung Deutschlands auf parlamentarischem Wege erzielen zu können, und wenn derselbe hierdurch auch seine Qualifikation als Diplomat einigermaßen beeinträchtigte, so theilte er doch nur den Jrrthnm aller derjenigen, welche vom Parlamentarismus als solchem das Heil der Völker erwarteten. Außerdem nahm derselbe als Katholik insofern eine eigenthümliche Stellung ein, als er nach Ausweis seiner „Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche" von der Ausfassung ausging, daß der Stern der katholischen Kirche in den romanischen Völkern im Erbleichen begriffen sei und die Hoffnung der Erneuerung in den germanischen Völkern und namentlich auf dem Sande der Mark gefunden werden müsse. In wie weit er sich dabei über die Tendenzen und Machtmittel Roms im Unklaren befand, hat man niemals genau erfahren. Sein Schicksal durfte insofern ein tragisches genannt werden, als mit dem Scheitern seiner deutschen Projekte gleichzeitig seine persönliche Laufbahn ihren definitiven Abschluß erreichte und sein Name schon bei seinen Lebzeiten nur noch der Geschichte angehörte. (Schluß folgt.)
Ein Wosträuöer.
'Nackdruck verboten. Gab v. ic. VI. 70.
Ans den Erinnerungen eines deutschen Kaliforniers.
Im heißen Sonnenschein gebadet, lagen die Sierra Ne- das Gebirge wie ansgestorben, denn Menschen und Thiere suchten vada, die Alpen Californiens da, und kein Laut, kein Ton gab im Schatten der riesigen Gelb- und Zuckerfichten, die den West-
Kunde, daß sich eine reiche Thierwelt, daß sich emsige Menschen lichen Abhang dieses Riesengebirges bedecken, Schutz vor der
in dieser herrlichen pittoresken Landschaft tummeln. Heute war mächtigen Lichtspenderin, die alles Leben mit ihren glühenden