Heft 
(1878) 22
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345
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Ein deutsches Famlienktatt mit Illustrationen.

Erscheint wöchentlich und ist durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich fiir 2 Mark zu beziehen.

Kann im Wege des Buchhandels auch in Heften bezogen werden.

XI V. JütjeMNH. AusMibln M 2. Uärz 1878. Der Jahrgang läuft nam Malier 1877 liis dahin 1878. 1878 . 22 .

Wor dem Sturm.

Historischer Roman von Theodor Fontane.

(Fortsetzung.)

Kirch-Göritz bestand aus wenig mehr als einer einzigen Straße, die sich in ihrer Mitte zu einen: schmalen, ein un­regelmäßiges Dreieck bildenden Platz mit nur zwei Eckhäusern erweiterte.

Tubal und Lewiu traten in den Thorweg ein und klopften an der ersten Thüre links. Eine etwas hoch-, aber in: übrigen wohlklingende Stimme riefherein", und im nächsten Augen­blicke sahen sich unsre Freunde durch Dr. Faulstich begrüßt.

Dieser entsprach auch in seiner änßern Erscheinung dem Charakter­bilde, das Lewin von ihm entworfen hatte. Trotz allem auf den ersten Blick Gewinnenden fehlte doch mancherlei, und wenn das leicht gekräuselte Haar, die goldene Brille, vor allen: auch die weiten Beinkleider ans großkarirtem Stoff ihn momentan als einen Mann erscheinen ließen, der sich daran gewöhnt hatte, mit seinen Ansprüchen nicht allzuweit hinter denen seines Umgangs zurückzubleiben, so kennzeichneten ihn daneben Che- nufe und Halstuch, ein hervorguckender Rockhängsel und die mit zahllosen Kaffceflecken betipfelten Brustklappen als einen Gelehrten von herkömmlicher Parure, der gegen Sauberkeit an tonä gleichgiltig und für seine Scheineleganz zu größerem Theile dem Drosselsteinschen Schneider verpflichtet war.

Er schien aufrichtig erfreut, die beiden jungen Männer zu sehen, und über die Lobsprüche leicht hinweggehend, die Tubal seiner kritischen Arbeit spendete, schob er mit einem scherzhaften:Sie sehen, meine Herren, die Ehrenplätze des Sophas sind occupirt," zwei Binsenstühle an den Tisch. Tubal und Lewin nahmen Platz, während der Doktor, über den eine gewisse Wirthlichkeitsunruhe gekommen war, an die Hinter­wand des Zimmers eilte und mit dem Zeigefingerknöchel drei­mal anklopfend zugleich aufmerksam hinhorchte, ob drinnen auch geantwortet würde. Diese Antwort schien nicht auszubleiben, denn er kehrte, befriedigten Gesichts, zu seinen Gästen zurück, ihnen mit einem Anfluge von Ironie mittheilend, daß er vor kaum einer Stunde einen Briefans dem Käbinet der Frau Gräfin Tante" erhalten habe. Inhalt: Sylvestergeheimniß.

XIV. Jahrgang 22. I.

Nachdruck verboten. Ges. v. 1N/VI. 70.

Es Würde nun dies Geheimniß das Schicksal aller ähn­lichen Gesellschaftsgeheimnisse gehabt haben, nämlich sofort aus­geplaudert zu werden, wenn nicht das Erscheinen der Wittwe Griepe das eben anhebende Gespräch unterbrochen hätte. Sie blieb in der Thüre stehen, und mit einem Ausdruck äußerster Respektlosigkeit, der ihr im übrigen immer noch hübsches Ge­sicht geradezu verzerrte, auf den ängstlich dasitzenden Doktor blickend, faßte sie, was sie zu sagen hatte, in ein halb, wie Frage, halb wie Drohung klingendesNa?" zusammen.

Ich möchte Sie bitten, Frau Griepe, uns etwas Obst zu bringen, Hasenköpfe, Reinetten. Auch Brot und Butter."

Gleich?"

Ich bitte darum. Die Herren kommen von Hohen-Bietz."

Diese halbe Vorstellung blieb nicht ohne Wirkung, um so weniger, als Tubal, der es in solchen Dingen nicht genau nahm, sich leise gegen Frau Griepe verbeugte. Eine solche Huldigung gefiel ihr, noch mehr der, von dem sie ausging. Sie musterte Tubal mit jenem Blicke suchenden Einverständnisses, in dem je nachdem ihr Reiz und ihre Widerwärtigkeit bestand, und verschwand dann wieder, ohne die Bitte Faulstichs mit einem Ja" oderNein" beantwortet zu haben.

Nach einiger Zeit trat sie wieder ein, setzte den er­betenen Imbiß, indem sie einen Hausen Blätter mit wenig verhehlter Geringschätzung bei Seite schob, auf den Tisch, ließ demNa!" undGleich?" ihrer ersten Unterhaltung jetzt ein ebenso kurzesso" folgen und entfernte sich dann wieder mit jenem überheblichen Gesichtsausdruck, den gewöhnliche Frauen ihrem Opfer nie schenken, wenn sie aus diesem oder jenen: Grunde ihre Herrscherrolle momentan mit der Rolle einer Dienerin vertauschen müssen.

Faulstich athmete auf, er begann ungezwungener zu wer­den und bat das durch Frau Griepe Gebotene, nunmehr seiner­seits auf eine höhere Stufe heben zu dürfen.Ich bin nicht immer so gut assortirt wie heute," damit trat er an einen Wandschrank heran, der einem scheuen Blicke nach, womit