Heft 
(1878) 22
Seite
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Faschingszeit. Wir Studenten wollten eine maskirte Schlitten­fahrt durch die Stadt veranstalten. Die jugendliche Phantasie der Betheiligten schoß dabei etwas sehr stark ins Kraut und die lächerlichsten Karrikaturen kamen zum Vorschein.

Ich wollte, da es Sonntag war, mich nicht betheiligen, sondern wie immer den Tag bei der Tante zubringen Sie selbst aber redete mir zu und schenkte mir sogar noch etliche Dukaten, indem sie sagte:Ei was, mein Junge, Studenten müssen lustig sein, soweit es in Ehren geschehen kann; der Ernst kommt schon früh genug; auch Du wirst ihn kennen lernen! Also frisch daran mit den Kameraden in Reih und Glied gestanden! Da nimm die Paar Goldsinken und laß sie lustig ansfliegen!"

Von den vielen im großen Festzuge vorkommenden komi­schen Figuren sind mir die meisten längst dem Gedächtniß ent­schwunden; es sollte darunter aber auch eine Frau siguriren mit einem riesigen Wickelkind auf dem Schoße; die Rolle der Frau war mir zugedacht.

Das hatte nun soweit keine sonderlichen Schwierigkeiten; eine große Puppe von etwa vier Fuß Länge mit karminrothem lachenden Gesichte war bald hcrgerichtet, ein gewaltiger bunt­gebänderter Lutschbeutcl; aber die Hauptsache, ein passendes recht in die Augen fallendes Gewand nebst geeignetem Kops­putz, ließ uns gänzlich im Stich. Wir hatten schon an ver­schiedene Thüren geklopft, um dergleichen geliehen zu bekommen, aber wenig Neigung gefunden, werthvollcre Kleidung in ein so gefahrvolles Unternehmen zu stürzen.

Die Zeit der Ausführung rückte jedoch immer näher, der ! festgesetzte Tag stand vor der Thür, und noch immer war keine ! Hoffnung, das Gesuchte zu erhalten.

! Da wandte ich mich endlich auch an meine Tante, und

! bat um Rath und That zur Abhilfe unserer Noth. j! Sie hatte nämlich ein großes, schön eingerichtetes Garde-

h robezimmer. In diesem hingen ans eigenen Gestellen Kleider ö aller möglichen Moden, die sie seit 56 Jahren getragen hatte.

Da sie ihre Sachen pedantisch schonte, so waren diese Kleider h fast noch wie neu. Ueber jedem hingen die modegewesenen h Hauben, Hüte, wie sonstigen Kopfbedeckungen und Zierrathen, !! ebenso standen darunter die jezeitigen Fußbekleidungen, s Obenan, erhaben über allen andern Kleidern, hing das

H scharlachne Prachtgewand, welches sie als Königin Semiramis

>! bei jener Aufführung getragen hatte, nebst alle den Herrlich-

g ketten, die zum damaligen Aufputz gehörten, ö Sie hatte mich selbst einmal in dies Heiligthum geführt,

h eine Vergünstigung, die außer ihrer Friederike wohl keinem Sterb> h lichen sonst zu Theil geworden war, wie sie das selbst versicherte. !! Aus diesem reichen Kleidermagazin hoffte ich, würde mir

h vielleicht irgend ein passendes Stück zur Benutzung werden, !! wenn ich versprach, dasselbe recht zu schonen, und ganz unver­letzt wieder abzuliefern. Ich brachte jedoch mein Anliegen mit - etwas stark pochendem Herzen und nur sehr schüchtern vor. h Meine Tante horte mich ruhiger an, als ich vorauszusetzen

wagte, und mein Hoffnungsstern stieg immer Heller empor. Als H ich aber ausgeredet hatte, sagte sie eben so ruhig:

>!Schlingel, ich bin kein Fratschelweib, das mit Trödel-

s kram handelt! Merk Dir's!"

!! Die liebenswürdige BezeichnungSchlingel" war mir aus

h ihrem Munde zwar nicht mehr ganz fremd, sie hatte dies Zier- l wort zuweilen scherzweise auf mich angewandt; diesmal jedoch

s lag trotz ihrer Ruhe etwas so Scharfes im Tone ihrer Stimme,

! daß die süße Milch meiner Hoffnung augenblicklich zu Essig-

! säure gerann, wogegen kein Küchenpulver mehr helfen konnte.

^ Ich fand es daher auch gerathener, völlig davon abzustehen,

! auch keinen Verdruß zu zeigen, wodurch es nur schlimmer ge- ! worden wäre. Nach einer Pause hob sie mit etwas milderem Tone j wieder an:Damit Du aber nicht ganz leer ausgehst und siehst, daß

ich gern gebe, was ich geben kann, so will ich Dir von meiner Zemira einen kleinen lieben Sprößling schenken, unter der Be­dingung jedoch, daß Du ihn recht ordentlich verpflegst und in Ehren hältst."

Zemira war nämlich ihr vielgeliebter Mops, der die Welt ganz unverhofft vor etlichen Wochen mit einer ansehnlichen Portion junger Möpse beglückt hatte. Diese machten aber meiner Tante bei ihrem schnellen Heranwachsen viel mehr zu schaffen, als sich mit ihrer so strengen Ordnung vertragen wollte. Des Gekläffs, Geheuls, Gepoltcrs und Vergehens gegen die Rein­lichkeit war kein Ende; bei aller Nachsicht ward ihr doch zu­letzt diese heillose Brut lästig, und sie beschloß, sich einiger dieser Tumultuanten und Exzedenten möglichst bald zu ent­ledigen. Daher die ganz besondere Vergünstigung, daß ich nun der Mentor dieses jungen nnkultivirten, schwarznäsigen Burschen werden sollte, der den schönen NamenMilord" führte.

Ich gestehe, daß mir dies Amt ganz und gar nicht an­genehm war, und hatte sehr bald Gelegenheit, dieses Geschenk eher ins Pfefferland zu verwünschen als in den Bereich meines Burgfriedens. Natürlich ließ ich mir aber nichts merken und stellte mich noch sehr erfreut, wie schwer mir das auch wurde.

Meine Tante unterrichtete mich nun auch sorgfältig, was zum Wohlhesinden Milords gehöre und prägte mir ganz be­sonders ein, Seine Lordschaft ja nicht etwa mit Braten zu über- i füttern, weil er sonst unfehlbar die Hundekrankheit bekommen würde. Ich war den Tag länger als gewöhnlich geblieben und ^ verabschiedete mich erst in der Dämmerung.

Morgen früh soll Dir Friederike den jungen Milord , bringen, und zugleich ein ordentliches Lager für ihn und ein sauberes Futtergeschirr, damit er seine Ordnung hat; denn in Deiner Studentenwirthschaft wird sich das wohl schwerlich vor- ^ finden. Friederike habe ich ausgeschickt, sie kann Dir nicht leuchten; Du kennst aber den Weg genugsam, auch ist cs noch nicht sehr finster; nimm Dich aber auf der Treppe recht in Acht!" Diese letzte Warnung rief sie mir noch durch die Thür nach.

Als ich über den Gang schritt, kam ich auch dicht bei der i Treppe an der Garderobe vorüber. Ich seufzte tief auf, daß !

alle die vielen Reichthümer darin todt und begraben liegen ^

sollten, während schon das geringste davon unserer Noth bei dem Maskenseste abzuhelfen im Stande gewesen wäre.

Da war es mir plötzlich, als ob eine unsichtbare Hand die »reinige auf die Thürklinke legte, um zu probiren, ob sie wohl offen sei oder nicht.

Ich erschrak ordentlich, als ich sie unverschlossen fand. Aber s

die Versuchung war übermächtig. Ich trat leise ein, ergriff das s

nächste Kleid, rollte es zusammen, verbarg es unter dem Mantel, t

zog die Thür schnell wieder zu und eilte die Treppe hinab. t

Bevor ich jedoch die Hausthür öffnete, überfiel mich das s

Gefühl meines Vergehens mit solcher Gewalt, daß ich ent- -

schlossen war, umzukehren, und das Genommene wieder au seine ^

Stelle zu bringen. ^

In demselben Augenblicke hörte ich die Hausthür auf- s

schließen, Friederike stand vor mir, an Umkehren war nicht t

mehr zu denken. Mit peinlichsten Gefühlen eilte ich nach Haus. j

Als ich dort meine Errungenschaft untersuchte, uberfiel s

mich ein wahrhaft panischer Schreck es war das scharlachne s

Prachtgewand der Semiramis sammt Goldkrone, Schleier und j

sonstigem Zugehör mit Ausschluß des Diamantcolliers. t

O wie gern hätte ich es sogleich wieder zurück gebracht, ^

wäre es nur irgend möglich gewesen! Jetzt aber mußte ich es j behalten, mochte daraus werden, was da wollte. i

Die Nacht über schloß ich kein Auge. Ich beschloß nach s! reiflicher Ueberlegung, das Kleid nicht zu gebrauchen, sondern es bei irgend einer Gelegenheit wieder zurückzubringen; wie s

das aber anzufangen sei, blieb mir ein Räthsel. Todtmüde !

schlief ich erst gegen Morgen ein. (Schluß folgt.) !

Km rrmthiger Mann!

Nachdruck verboten. Ges. «> il./Vi. 70.

Nichts beweist wol besser, daß die deutsche Sozialdemokratie ! gegen jede Religion, der ihre Anhänger erfüllt. Wodurch hat nicht wie vielfach behauptet wirdeine Magenfrage" ist, ! das Christenthum diesen Haß verdient?. Es hat sich doch stets, als der blinde Haß gegen das Christenthum nicht nur, sondern j getreu den Geboten des Heilandes, der Armen angenommen,