Heft 
(1878) 22
Seite
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ist :inabänderlich; schlimmer aber noch ist, daß auch alle die Opfer ihrer Propaganda mit dem berauschenden Trank der sozialdemokratischen Hirngespinste auch das - ätzende Gift des Unglaubens einschlürfen, denn der Berauschte schläft seinen Rausch aus und ist wieder der, der er war, während der Ver­giftete verloren ist.

Da ist es denn nur natürlich, daß christliche Männer diesen Vorgang nicht ohne das tiefste Weh ansehen konnten, daß sie Mitleid hatten mit dem armen irregeleiteten Volk und daß aus dem Mitleid der Entschluß erwuchs, nicht müßige Zeugen der Ereignisse zu bleiben, sondern herabzusteigen in die Arena, und im Namen des Heilandes den Kampf mit den Feinden aufznnehmen. Es gehörte doch ein großer Entschluß dazu, es war eine muthige Mannesthat. Die Gegner find vorzüglich organisirt, sie gehorchen ihren Führern, denen sie blind vertrauen, aufs Wort und sie sind erfüllt von dem Fanatismus der un­gerechten Sache, von jenem Fanatismus, der den Gegner nicht anhören will, weil er weiß, daß er ihn nicht anhören darf.

Als an: dritten Januar Plakate die Arbeiter Berlins zu einer Volksversammlung einberiefen, auf der über dieGrün­dung einer christlichen Arbeiterpartei" berathen werden sollte, wurde der gesammte sozialdemokratische Heerbann aufgeboten. Dieser besetzte das Bureau, und die Führer glaubten ihrer Leute sicher zu sein. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Herr Hofprediger Stöcker war nicht der Mann dazu, sich durch die Majorität imponiren, sich durch den voraus­sichtlichen Mißerfolg irre machen zu lassen. Unerschrocken ent­wickelte er seine Ansichten, mannhaft trat er ein für das, was ihm als das rechte erschien, unbekümmert um Zischen und Tumult. Wie treffend seine schlichten Worte gewesen waren, betvies der Wuthschrei, mit dem der Sozialdemokrat Most ihm antwortete. Der Zorn riß ihn über jedes Maß fort, der gröbsten Unwahrheit folgte die albernste frechste Renommisterei. Calvin sollte 50 Ketzer haben hinrichten lassen, und den Geist­lichen rief er zu:Macht Eure Rechnung mit Eurem Himmel, denn Eure Uhr ist abgelaufen."

Bewies schon dieser Schmerzensschrei, daß der Schlag ge­troffen, so mußte ein Entschluß, der gleich darauf im sozial­demokratischen Lager gefaßt und ex eatbsära verkündigt wurde, noch klarer machen, wie sehr man dieses Häuflein Männer fürchtete.Austritt aus der Landeskirche!" lautete die Parole. Man wollte sich eben vor der Möglichkeit schützen, daß die Herde auf den Gedanken kommen könnte, nicht mehr blind­lings und fclavisch zu gehorchen, sondern selbst zu prüfen. Aus eben diesem Grunde wurde auch der fernere Besuch der christ­lich-sozialen Versammlungen verboten. ' Aber die sonst doch so gehorsamen Scharen gehorchten diesmal nur zum Theil. Der

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Mann, der sich so muthig unter seine Gegner gewagt und sich nicht gescheut hatte, seine Ansichten offen und unverhüllt vor ihnen auszusprechen, hatte es manchem angethan, andere wollten ihn wenigstens auch hören. Als die übrigen Sozial­demokraten sahen, daß die Ordre nicht verfing, gingen sie auch in die Versammlung, um wenigstens so viel sie konnten, zu stören. Aber vergeblich. Herr Hofprediger Stöcker sprach am 18. Januar noch viel energischer, feuriger und auch durch­schlagender als am 3. Januar.

Aus ihren Reden, Artikeln und Liedern wies er den Sozialdemokraten nach, daß sie bewußtermaßen der Revolution und damit dem eignen Elend entgegentreiben; daß jene Be­hauptung Mosts eine Unwahrheit; daß das Chriftenthum recht eigentlich sich der armen Volksklasfen erbarme. Es war eine mannhafte wackere Rede, und sie kam aus dem Munde eines Mannes, der selbst ans einer Arbeiterfamilie hervorgegangen ist, und in dessen Leben auch die erbittertsten Feinde keinen Flecken entdecken konnten. Es war eine mannhafte Rede und sie wurde vor deutschen Männern gehalten, denen die Sozial­demokratie den Sinn für Mannesmuth nicht hatte austreiben können kein Wunder, daß den Führern bange wurde um ihre Führerschaft. Hier war Gefahr im Verzüge, es galt ihr Lebenselement zu Hilfe zu rufen: die Agitation, den Skandal, den Tumult. Die Sozialdemokratie hat in den letzten Wochen in Berlin wahre Orgien gefeiert! Vielleicht noch nie ist in einem Staate, der sich nicht im Zustande der Revolution be­fand, eine solche Sprache geführt worden, haben solche Ver­sammlungen stattgefunden, Versammlungen, in denen offen und gerade heraus der Staat und die Religion gleich sehr ver­höhnt wurden. Der Geistlichkeit rief Most sein:Macht Euere Rechnung mit dem Himmel" zu, dem Staat erklärte er, er fürchtete sich weder vor einer irdischen noch vor einer himmlischen Autorität. Beide Erklärungen fanden jubelnden Beifall.

Stöcker aber und seine Freunde wichen und wankten nicht. Hatte schon Stöcker Most widerlegt, so leuchtete ihm später auch Herr Dr. Wangemann heim, ja letzterer folgte sogar einer Einladung zu einer sozialdemokratischen Frauenversammlnng und maß sich auch dort mit Most. Mitten in der Gluthitze und dem Tabaksqualm solcher Versammlungen, unter dem Ge­heul, Gezisch und Gepfeif der Gegner standen diese christlichen Männer und verkündeten Den, vor dessen Namen sich alle Knie beugen sollen.

Wahrlich, wie man auch über die christlich-soziale Partei als solche denken mag die Männer, die sie hervorriefen, wird man bewundern, so lange man noch Sinn hat für Neber- zengnngstreue und Mannesmuth. Th. H. P.

Woöe oder Arack.*)

Es ist ein erfreuliches Zeichen segensreichen Fortschrittes, oder wenn man will, segensreicher Rückkehr in unserer allen äußeren Formen und Feierlichkeiten mehr und mehr entfrem­deten Zeit, daß das preußische Abgeordnetenhaus den Beschluß gefaßt hat, auf eine hoffentlich für ganz Deutschland gemein­same richterliche Amtstracht hinzuwirken. Der Antragsteller in der Kommission, so viel uns bekannt ein hannoverscher Jurist, hat augenscheinlich, und die Verhandlung im Plenum des Ab­geordnetenhauses hat dies bestätigt, die in seinem engern Vater­lande noch heute übliche Robe im Auge gehabt, die der Richter trägt, wenn er öffentlich Recht zu sprechen hat. Um diese letztere Pflicht des Richters und die hierbei zu tragende Amts­tracht handelt es sich übrigens nur allein, und niemand wird im Ernste verlangen, daß der Richter die auffallende Kleidung anlegen soll, sobald er richterliche Nebengeschäfte, als Lokal­termine und dergleichen, wahrzunehmen hat.

Die Robe, nächst dem preußischen Rheinlanden und der Provinz Hannover ganz besonders in Frankreich und England üblich, soll französischen Ursprung haben. Es mag möglich

Nachdruck verboten.

Ges. v. 11./VI. 7».

sein, daß sie dem Lande der Mode entsprossen ist, jedenfalls aber ist sie der alten Toga verwandt, und es steht fest, daß wir sie, wenn auch in anderer Form, auf alten deutschen Bildern finden, wo der Graf unter dem Mispelbaume Recht spricht, dann wieder in Gemeinschaft mit der vermummenden Kapuze und Larve bei den Rittern der heiligen Nehme. Heut­zutage erscheint sie durchgängig von schwarzem feinen Wollen­stoff, ähnlich dem Talare, bald ganz einfach, bald verbrämt mit Atlas oder Seide an den znsammenstoßenden vorderen Längsseiten. Ein weißes Halstuch mit kürzeren oder längeren, einfachen oder gestickten Enden ist ihr unerläßliches Attribut und stets begleitet sie das Barett, in England die Perrücke.

Wer einmal einer Gerichtssitzung, in welcher ein ganzes Richterkollegium, Prokuratoren und Anwälte in der Robe er­scheinen, beigewohnt hat, wird, wenn ihm der Anblick ein bis dahin ungewohnter war, sich einer gewissen Ueberraschung nicht haben erwehren können. Es ist keine Frage, daß im Großen und Ganzen die Erscheinung eines solchen Gerichtshofes den Ein­druck einer erhöhten Feierlichkeit macht, ähnlich dem, der durch

*) Es wird unsere Leser gewiß interessiren, in Obigem das Urtheil eines Betheiligten von langjähriger Erfahrung über diese vielfach be­wegte Frage zn vernehmen. D. R.